Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
ein Stück Kautabak aus dem Beutel und stopfte es sich in den Mund.
» Vielleicht«, sagte Hamish und schlug dem Freund auf die Schulter. » Wir werden sehen.« Wenn er eine Frau und vielleicht auch ein Kind hatte, dann konnte Lorna sich um beide kümmern, und er würde weiter sein Geschäft begründen, zumal er sich dann der Gesellschaft in günstigem Licht präsentierte. Die Verbindung war zwar nicht geplant gewesen, aber es konnte nicht schaden, sich als achtbarer Bürger darzustellen.
Herbst, 1857
200 Meilen westlich von Ridge Gully
Dave schaute zu, wie Hamish die beiden Hinterläufe des Kängurus enthäutete. Er machte einen Schnitt um jedes Kniegelenk und drehte dann den Knochen, bis er knackte. Die fleischigen Schenkel steckte er auf einen langen Stock und briet sie über dem Feuer. Lee schob ihn zur Seite, um die Teekanne aufzusetzen. Dave schlürfte seinen Tee laut. Er mochte den alten Chinesen. Sogar Tootles mochte ihn. Er war wohl so etwas wie ihr guter Geist. Kein Wunder, dass alles nach Plan verlief. Sie hatten die Merinoschafe zuerst in westlicher Richtung von Sir Malcolms Besitz weggetrieben und hatten sich dann mit den Tieren nach Norden gewandt. In der letzten Woche war ihnen keine Menschenseele begegnet. In ein paar Tagen würden sie nördlich von The Hill und damit in Sicherheit sein.
Dave rieb sich den Rücken am Baumstamm, an dem er lehnte. Jede seiner Bewegungen wurde genau beobachtet. Ihm gegenüber, am Rand von Lees Feuer, hockten die beiden Neuen, Söhne von Sträflingen, die sie vor ein paar Tagen aufgegabelt hatten, und starrten ihn an. Dave rümpfte die Nase und erwiderte gleichmütig ihren Blick.
Der große Junge, anscheinend der Sprecher der beiden, fing schon an zu sabbern, wenn man Essen nur erwähnte, und der andere musste alle fünf Minuten pinkeln. Jasperson wollte davon nichts wissen. Er sagte nur, es spielte keine Rolle, und wahrscheinlich hatte er recht, dachte Dave. Sie konnten reiten und auf die Herde aufpassen, und die meiste Zeit waren sie zu verängstigt, um einen Ton zu sagen. Dave hatte das Gefühl, Jasperson benutzte sie wie die Huren in Ridge Gully, nur dass sie ihn keinen Cent kosteten. Dave fand das widerwärtig, aber wenn es Jasperson glücklich machte, sollte es ihm egal sein. Außerdem konnten die Jungs arbeiten, und das war das Wichtigste.
Als das Fleisch fertig war, teilte Lee es gleichmäßig auf. Dazu gab es für jeden ein Stück warmes Brot. Der Chinamann war erst am Morgen gekommen, weil er dafür gesorgt hatte, dass Tootles seine Rolle gut zu Ende spielte. Die Männer rissen das saftige Fleisch mit den Zähnen ab und fingen den Fleischsaft mit dem Brot auf. Sie aßen heißhungrig, wobei sie Lee im Auge behielten. Er bewachte die Reste, bis alle fertig waren, und erst dann bot er einen mageren Nachschlag an. Heute Abend würden nur Knochen übrig bleiben, dachte Dave, und rieb sich seinen vollen Magen. Lee warf den beiden Jungen einen Knochen hin, und sie stürzten sich darauf wie ausgehungerte Hunde.
Während Lee noch einmal Tee kochte und ihre ledernen Trinkbeutel im nahe gelegenen Flussbett füllte, studierte Hamish seine Mannschaft. Dave lag bereits flach auf dem Rücken und schnarchte leise, während Jasperson noch ein Scheit aufs Feuer warf und mit dem Messer, das er immer in seinem Stiefel bei sich trug, begann, an einem Stock zu schnitzen. Die Schneide blitzte im Feuerschein, während er den Stock rasch zuspitzte. Als er damit fertig war, puhlte er sich Fleischreste aus den Zähnen. Die beiden Jungs hatten sich noch ein Stück weiter vom Feuer entfernt und schliefen eng aneinander, als ob sie Schutz brauchten. Hamish wusste, dass Jasperson einen der beiden zu sich in den Schlafsack holen würde, wenn alle schliefen. Er beugte sich vor, um seine Hände am verlöschenden Feuerschein zu wärmen. Es war ein milder Abend, und Jaspersons Gelüste gingen ihn nichts an. Der Mann war loyal und besaß Fähigkeiten wie Dave auch– nur das spielte eine Rolle. Sein Plan war aufgegangen, und bald würde er nach Ridge Gully zurückkehren, ein reicher Mann mit einer Ehefrau, die ihm das Bett wärmte.
Hamish wusste, dass er den Zeitpunkt perfekt gewählt hatte. Tootles Reynolds war jetzt der Eigentümer der Viehhandlung von Ridge Gully. Der Bankdirektor hatte Matthew Reynolds das Angebot unterbreitet und überrascht festgestellt, dass er nicht nur Interesse gezeigt, sondern das erste Angebot gleich angenommen hatte. Denn nur ein paar Stunden vorher hatte er
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