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Weites Land der Träume

Titel: Weites Land der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCoullagh Rennie
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ungebärdigen Wellen. Sie waren der Ersatz für die rosafarbenen Schleifen, die sie im Feuer verloren hatte. Ihre Enden fielen über ihren Rücken und verhedderten sich in ihrer prächtigen schulterlangen Lockenmähne. Obwohl sie ihr Haar normalerweise nur sonntags offen tragen durfte, beschloss sie, das Risiko heute einzugehen. Sicher würde Tante Bea verstehen, wie wichtig es ihr war, an diesem Tag ganz besonders hübsch auszusehen. Rasch schlich sie sich ins Zimmer der Jungen, griff über Buddys schlafende Gestalt hinweg und rüttelte Ben an der Schulter.
    »Los, Ben, wir müssen die Ziegen melken«, flüsterte sie und warf dabei den Zwillingen einen besorgten Blick zu. Doch die rührten sich nicht. Tante Bea hatte Recht gehabt, darauf zu bestehen, dass Ben beim Melken half. Wenn sie miteinander allein waren, schwand seine Befangenheit rasch, und Alice erkannte zu ihrer Freude, dass er fast wieder so keck war wie früher. Stolz hatte er darauf beharrt, einen eigenen Auftrag zu erhalten, und mistete nun täglich aus und füllte den Wassertrog nach. Alice hatte viel Freude an ihrer gemeinsamen Arbeit in den düsteren Morgenstunden, die sie beide einander wieder näher gebracht hatte.
    Ben schlug schläfrig ein Auge auf und zog sich dann die Decke über die Ohren. Doch bevor Alice noch ihn einmal schütteln konnte, setzte er sich, plötzlich hellwach, auf. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders. Rasch kroch er aus dem Bett und schlüpfte in seine Kleider. Zusammen huschten sie in die Küche, um die Milcheimer zu holen, und gingen dann über den mit Reif bedeckten Boden zu den Pferchen. Die eisige Luft färbte ihre Wangen rosig.
    Die Ziegen witterten die Kinder schon und blickten von ihrem geduldigen Grasen auf. Im fahlen Morgenlicht waren nur ihre Umrisse zu erkennen. Alice öffnete den neuen, noch starren Riegel des Pferchs, rief die Tiere leise beim Namen und freute sich, als sie alle auf sie zugelaufen kamen und um Leckereien bettelten. Sie war froh, dass sie so früh aufgestanden war und nun genug Zeit hatte. Heute hatte sie keine Lust, sich zu beeilen, und wollte jeden Augenblick des morgendlichen Rituals genießen. Mit sanfter Stimme sprach sie zu den Tieren, die sich in Erwartung einer Belohnung an sie schmiegten. Als sie von hinten angestupst wurde, lachte sie auf.
    »Dummerchen!«, rief sie in gespieltem Ärger aus, schlang der Ziege die Arme um den Hals und versuchte das mulmige Gefühl in ihrem Inneren zu ignorieren. Heute würde ein wunderschöner Tag werden. Für einen Moment war Alice überzeugt davon, dass ihre Mutter ihr zusah, und Freude ergriff sie. Sie lächelte Ben zu, der, die ausgestreckten Arme in den flatternden Ärmeln seines Flanellhemdes verborgen, hin und her sprang.
    »Ben! Was machst du denn da?«, fragte sie.
    »Ich bin eines von Onkel Rays Hemden«, erwiderte Ben, ein spitzbübisches Funkeln in den Augen. Alice kicherte. »Ich dachte, Milly oder Billy haben vielleicht Hunger.« Er tat, als schwenke er einen Ärmel vor dem Gesicht einer Ziege.
    Alice konnte der Versuchung nicht widerstehen, und so hüpften die beiden eine Weile ausgelassen und unbeschwert im Pferch herum, bis sie schließlich laut kichernd übereinander stolperten. Lachtränen liefen Alice übers Gesicht, und sie wischte sie mit dem Ärmel weg, während die Ziegen ungerührt zusahen.
    Nachdem sie wieder Atem geschöpft hatte, rappelte sie sich auf. Ben lief los, um den Wassertrog nachzufüllen und mit den Zicklein zu spielen; unterdessen versorgte Alice in aller Seelenruhe die Ziegen. Sie war so froh, endlich unbeobachtet und den Streitereien mit ihren Cousins und den missbilligenden Blicken ihres Onkels entronnen zu sein.
    »Heute habe ich Geburtstag, Ben«, verkündete Alice traurig nach dem Melken, als die Ziegen und ihre Zicklein für den Tag freigelassen worden waren. Alice griff nach dem Eimer mit frischer Milch und steuerte auf das Haus zu, doch Ben begann, in seinen Taschen zu kramen. Alice beobachtete ihn neugierig.
    »Du hast wohl geglaubt, ich hätte es vergessen«, meinte Ben verlegen und hielt ihr ein winziges längliches Päckchen hin, das in zerknittertes Zeitungspapier gewickelt war. Alices Miene erhellte sich, als sie das Geschenk entgegennahm und vorsichtig das Papier entfernte. Eine unbeholfene Schnitzerei kam zum Vorschein.
    »Das habe ich selbst gemacht«, sagte Ben stolz.
    »Oh, Ben.« Als Alice seinen nach Bewunderung heischenden Blick bemerkte, kamen ihr die

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