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Weites Land der Träume

Titel: Weites Land der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCoullagh Rennie
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Heimfahrt getrübt. Als sie das Gebiet mit der schwarzen Erde erreichten, hatte sich die Straße in einen zähen Morast verwandelt. Drei Mal blieb der Wagen stecken, sodass Tante Bea und Alice aussteigen und ihn schieben mussten. Als sie nach Hause kamen, war es schon stockdunkel, und sie waren erschöpft. Erleichtert, wohlbehalten zurück zu sein, schleppte Alice die schweren Kartons mit dem Fleisch zum Kühlschrank. Nachdem sie die Tür sorgfältig geschlossen hatte, fiel sie ins Bett und schlief trotz des hämischen Gekichers aus dem Zimmer der Jungen sofort ein.
    Ein paar Stunden später wachte sie erschrocken auf und hörte Onkel Ray wütend ihren Namen brüllen. Schlaftrunken schleppte sie sich in die Küche, wo sie in eisblaue Augen blickte. Bei seinem gehässigen Tonfall zuckte sie erschrocken zusammen.
    »Das da habe ich in meinem Kühlschrank gefunden!«, knurrte er. Alice sah in die Richtung, in die sein dicker Zeigefinger wies. In dem Kühlschrank lag eine große tote Schmeißfliege. »Du hast das Fleisch verdorben. Hat deine Mutter dir denn gar nichts beigebracht? Der Himmel schütze mich vor dämlichem Weibervolk«, murmelte er noch, als er davonging. Alice wäre am liebsten im Erdboden versunken, doch die Nacht hielt noch andere unangenehme Überraschungen bereit.
    Die Zwillinge, die ihre Streiche niemals lassen konnten, nützten die Gelegenheit und legten ihr eine riesige behaarte Spinne aufs Kopfkissen, sodass Alice einen Schreckensschrei ausstieß, als das Insekt davonkroch.
    Obwohl Onkel Ray den Zwillingen eine ordentliche Standpauke hielt, wollte das Gefühl der Leere in ihr einfach nicht verschwinden. Gerade war sie endlich wieder in ihrem gemütlichen Bett eingeschlafen, als Tante Bea sie erneut weckte.
    »Dein Dad ist am Telefon«, sagte sie aufgeregt. Sofort war Alice hellwach. Die Welt war schön. Ohne auf Katies schläfriges Genörgel zu achten, hastete sie zum Telefon. Doch als sie zum Hörer griff, war die Leitung tot.
    »Er meinte, er müsste dringend weg, Mrs. Downing«, erklärte das Fräulein vom Amt.
    Grenzenlos enttäuscht legte Alice auf. Ihre Augen mit den dunklen Schatten darunter schienen zu groß für ihr Gesicht, und ihr verzweifelter Blick zerriss Tante Bea das Herz.
    »Ich weiß, wie müde du bist, Kleines, aber ich wollte, dass er es dir selbst erzählt«, begann sie in sanftem Ton und zog Alice an sich. »Denn er hat dich sehr, sehr lieb. Aber dieses Jahr musste er zum Scheren weiter hinauf in den Norden.
    Dein Dad wird gutes Geld verdienen, doch das bedeutet, dass er erst zu Weihnachten nach Hause kommt.«
    Alice fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie nur der Gedanke an ihren Dad und daran, dass er rechtzeitig zu ihrem Geburtstag nach Hause kommen würde, aufrecht gehalten. Und nun war ihr auch diese Vorfreude genommen worden. Nicht einmal Tante Beas liebevolle Art konnte sie trösten. Sie schlich zurück auf die voll gestellte Veranda, rollte sich auf ihrer Seite des Bettes zusammen und wagte nicht zu weinen, um Katie nicht zu stören oder die vier Jungen zu wecken, die sich im nun stillen Nebenzimmer aneinander drängten. Alice starrte in die Dunkelheit und weinte lautlos. Ihr Dad hatte es doch versprochen. Alles hatte sie ertragen können, weil sie sicher war, dass er zurückkommen und sie holen würde. Und jetzt hieß es, fünf weitere lange Monate zu warten. Ganz zu schweigen davon, dass er ihren Geburtstag verpassen würde. Und er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, es ihr am Telefon zu erklären.

Kapitel fünf
    Es war noch stockfinster, als Alice aus dem Schlaf hochfuhr, fest davon überzeugt, dass gleich etwas Schreckliches passieren würde. Dann jedoch fiel ihr ein, dass es ja bereits geschehen war. Heute hätte ihr Vater zurück sein sollen. Heute war ihr Geburtstag, der Tag, den Mum und Dad immer zu etwas ganz Besonderem gemacht hatten. Ohne auf den Schmerz in ihrer Brust zu achten, tastete sie mit den Füßen nach dem kalten Holzboden. Es war fast September und deshalb morgens nicht mehr so eisig wie im Winter, doch sie zitterte vor Kälte, als sie sich anzog. In wenigen Stunden würde strahlender Sonnenschein den beißenden Frost vertrieben haben.
    Heftig fuhr sie mit der Bürste durch das lange, verfilzte schwarze Haar, um sich aufzuwärmen: Einzelne Strähnen knisterten an den Borsten und sprühten winzige Funken in der Dunkelheit. Mit steifen Fingern flocht sie sich zwei weiße Satinschleifen in die

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