Weites Land der Träume
so einem Messer kann man richtig Ärger kriegen.«
»Na und?« Immer noch den verängstigten Ben umklammernd, sah Grunz Dunk böse an.
»Man kann sogar aus der Schule geschmissen werden.«
»Das weiß ich, du Blödmann.« Ein tückischer Ausdruck erschien in Grunz’ Gesicht. »Und wer wird es weitererzählen?« Als er das Messer unter Dunks Nase schwenkte, wich dieser einen Schritt zurück.
»Niemand, alter Junge«, rief er aus.
»Also?«
»Ist egal«, erwiderte Dunk, doch Alice bemerkte, dass das hämische Funkeln aus seinen Augen verschwunden war. Auf Grunz’ nächsten Schritt war sie nicht gefasst. Er griff nach Bens Haar und riss seinen Kopf zur Seite, sodass der kleine Junge einen Schmerzensschrei ausstieß.
»Es ist gar nicht gut, eine Schwester zu haben, die sich für die Allerschlauste hält«, zischte Grunz und hielt Ben das blitzende Messer an die bleiche Wange. Die anderen sahen mit einem wohligen Gruseln zu.
Alices Angst wurde zu blinder Wut. Das Versprechen an ihren Vater, gut auf Ben aufzupassen, hallte ihr noch in den Ohren. Und kein Mensch auf der Welt, weder der gefährlichste Schulhoftyrann noch Gott persönlich, würde sie dazu bringen, ihren Schwur zu brechen. Zornig stürzte sie sich auf Grunz. »Rühr ihn nicht an!«, brüllte sie.
Im ersten Moment war Grunz von ihrem wilden Angriff überrascht. Als ihre Zähne sich in sein Handgelenk gruben, ließ er das Messer fallen und wusste nicht, wie ihm geschah. Er stieß einen Schmerzensschrei aus. Währenddessen riss Ben sich blitzschnell los rannte aus dem Schulhof und flüchtete sich hinter einen Baum. Im nächsten Moment brach die Hölle los, denn Grunz hatte sich rasch von seinem Schrecken erholt und warf sich mit voller Kraft auf seine Widersacherin.
Plötzlich lag Alice mit dem Gesicht im Schlamm, und Schläge hagelten auf sie hinab. Doch interessanterweise trat nur einer der vielen Stiefel richtig zu, während die anderen scheinbar nur in der Luft herumfuchtelten oder sie leicht anstupsten. Der fragliche Stiefel gehörte eindeutig Grunz. Alice schützte ihr Gesicht mit den Armen und versuchte unter Schmerzensschreien, dem rissigen, dick mit Dreck verkrusteten Leder auszuweichen. Immer wieder schabte die scharfe Kante des Schuhs über ihre Haut und hinterließ rote Striemen und weißliche Kratzer auf ihren Armen und Beinen. Als der Stiefel nach ihrem Gesicht ausholte, versuchte sie, ihn zu fassen zu kriegen, und stieß einen Schrei aus, als er sie an der Brust traf. Nur einmal gelang es ihr kurz, ihn festzuhalten, und sie grub die Zähne fest in Grunz’ teigige Haut, was ihr eine Flut von Verwünschungen einbrachte. Die Tritte wurden noch heftiger.
Bei jedem Tritt glaubte Alice, dass es doch jetzt vorbei sein müsste. Gewiss würde die Lehrerin sie hören und den Jungen Einhalt gebieten. Aber niemand kam, um sie zu retten. Um sich abzulenken, fragte sich Alice, wo Ben wohl steckte und was er tun würde, wenn sie tot war. Plötzlich spürte sie, dass sie hochgehoben wurde, und war überzeugt, auf dem Weg in den Himmel zu sein, bis ein scharfer Schmerz am Kopf sie in die Wirklichkeit zurückholte. Sie erkannte, dass sie an ihrem Zopf hochgezogen wurde. Alice war schwindelig und übel, doch als sie die Hand nach ihrem Haar ausstreckte, ließ die Spannung plötzlich nach und sie fiel wieder zu Boden. Sie bemerkte es kaum, als Grunz über ihre klägliche mit Schlamm beschmierte Gestalt hinwegstieg und mit einem Triumphschrei seine Trophäe hochhielt. Im nächsten Moment lag sie, zerschlagen und zitternd, allein auf dem verlassenen Schulhof.
Alice brauchte eine Weile, bis ihr klar wurde, dass ihre Angreifer verschwunden waren. Vorsichtig setzte sie sich auf, und ihre Lippen bebten, als sie sich langsam umsah. Um sie herum herrschte Schweigen. Am ganzen Leibe zitterte sie wie Espenlaub. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, betastete sie zögernd ihren pochenden Schädel. Als sie die Finger durch das verfilzte, mit Schlamm verklebte Haar gleiten ließ, spürte sie etwas Warmes. Sie zog die Hand zurück und betrachtete entsetzt das hellrote Blut. Wieder schlug ihr das Herz bis zum Halse. Nun würde sie verbluten. Ihr Puls ging wieder langsamer, als sie bei einer erneuten Prüfung feststellte, dass die Blutung aufgehört hatte. Dann griff sie sich wieder an den Kopf und suchte nach ihren Schleifen. Ihr Schrecken wurde immer größer, während sie weiter ihr Haar untersuchte.
Verzweiflung drohte sie zu überwältigen, als ihr klar
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