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Weites Land der Träume

Titel: Weites Land der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCoullagh Rennie
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Ohrs abgeschnitten, sodass sie aussah wie ein geschorenes Schaf.
    Alice hielt den Atem an und wagte kaum sich zu rühren. Dann füllten sich Tante Beas Augen mit Tränen, und sie breitete die Arme aus. Endlich fiel Alice ihrer Tante um den Hals.
    Onkel Rays Reaktion auf Alices schreckliches Erlebnis überraschte alle. Obwohl er sonst stets so kühl und beherrscht war, kam er ins Haus gestürmt wie ein waidwundes Nashorn.
    Alice, die inzwischen einen gestuften, bis knapp unter die Ohren reichenden Jungenhaarschnitt trug, deckte gerade den Tisch für das abendliche Geburtstagsessen. Erschrocken blickte sie auf, als ihr Onkel zur Tür hereingeeilt kam und mit finsterer Miene seinen Hut auf den Haken schleuderte.
    »Alice Ferguson! Wo bist du?«, brüllte er.
    Alice kauerte sich hinter den Tisch und umklammerte mit zitternden Händen das Besteck. Tante Bea, die den Lärm gehört hatte, hastete in den Raum.
    »Ray! Gott sei Dank, dass du hier bist. Alice hat heute etwas Entsetzliches erlebt.«
    »Ich auch!«, polterte der Onkel. »Wo ist das Mädchen?« Eine Gabel fiel klappernd zu Boden, worauf Ray herumwirbelte und drohend und leicht hin und her schwankend auf Alice zukam. »Steh gerade, junges Fräulein, und erklär mir, was du dir dabei gedacht hast, ein anderes Kind zu beißen.«
    Alice wich an einem Stuhl zurück und wagte nicht, ihre Tante anzusehen. Sie fragte sich, ob es ihr wohl gelingen würde, durch die Hintertür zu fliehen, bevor die Beine unter ihr nachgaben. Als ihr der starke Geruch nach Rum und Zigaretten in die Nase stieg, musste sie husten. Sie öffnete den Mund, bekam aber keinen Ton heraus.
    »Also, was hast du dazu zu sagen?«
    »Wenn sie es wirklich getan hat, hat der Junge es ganz offensichtlich verdient«, wandte Bea, die bemerkte, dass Ray getrunken hatte, rasch ein. »Ich finde, darüber sollten wir später sprechen, Ray. Das arme Mädchen hat einen schrecklichen Tag hinter sich.« Doch Beas Worte reizten ihren Mann nur noch mehr. Wutentbrannt drehte er sich zu seiner Frau um.
    »Von dir lass ich mir keine Vorschriften machen!«
    »Um Himmels willen, Ray!«, rief Tante Bea verzweifelt aus. »Siehst du denn nicht, in welchem Zustand deine Nichte ist?« Ängstlich wartete Alice ab. Zum ersten Mal erlebte sie mit, dass Ray und Bea offen miteinander stritten. Onkel Ray stützte sich auf eine Stuhllehne, ohne auf Alice zu achten, und richtete seinen Zorn nun gegen seine Frau.
    »Jetzt hör mir mal gut zu! Mein Kumpel Bill hat mir erzählt, er wäre heute bei Sid Grant gewesen, um ihm zu helfen, seinen Traktor zu reparieren. Da kam plötzlich Mrs. Grant angelaufen und schleppte den kleinen Damien hinter sich her. Er hat die Bissspuren am Bein des Jungen deutlich gesehen.« Ohne Tante Beas entschlossen zusammengekniffene Lippen zu bemerken, richtete er sich zu voller Größe auf. »Was bildest du dir eigentlich ein, dich so aufzuführen?«, schrie er Alice an. »Wie kannst du es wagen, die Ehre unserer Familie in den Schmutz zu ziehen? Wenn du weiter unter diesem Dach wohnen willst, wirst du dich deinen Mitmenschen gegenüber anständig benehmen.« Wütend deutete er mit dem Finger auf Alice, die entsetzt zurückwich.
    »Nein, Ray, jetzt hörst du mir zu«, gab Tante Bea, sichtlich um Beherrschung bemüht, zurück. »Damien Grant hat Alice angegriffen, nachdem er zuerst gedroht hatte, Ben die Haare abzuschneiden. Natürlich hat Alice Ben verteidigt. Also hat er stattdessen einen ihrer Zöpfe erwischt. Doch davor hat der miese kleine Feigling zusammen mit ein paar der grässlichen Bälger, mit denen er sich immer herumtreibt, Alice getreten und verprügelt. Wenn ich die Burschen in die Finger kriege … Und eines versichere ich dir. Falls es Gerede wegen schlechten Benehmens geben sollte, wird es sich bestimmt nicht gegen deine Nichte richten. Und jetzt komm her, Alice, mein armes Kind.« Sie streckte die Hand aus. Alice ging zögernd auf ihre Tante zu und versuchte, die Tränen zu unterdrücken.
    »Schau dir das an, Ray.« Bea wies auf die Blutergüsse rings um das Pflaster auf Alices Stirn, auf die Kratzer und auf die rot und blau angelaufenen Striemen an ihren Armen und Beinen. »Das wunderschöne Haar«, murmelte sie tröstend und strich über die borstigen schwarzen Locken. Dann zog sie das zitternde kleine Mädchen an sich. Ray sackte sichtlich in sich zusammen. Er starrte Alice entgeistert an und erbleichte, als ihm endlich die Wahrheit dämmerte.
    Die Zwillinge und Ben, die in den Raum

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