Weites wildes Land
mehr Rindfleisch bestand. An den öden Nachmittagen saß sie unter den Zweigen des Baumes neben der Hütte und lauschte. Sie lauschte den Geräuschen ihrer Umgebung. Dem Scheppern von Metall, einem Kettenhund, der wimmerte wie ein müdes Kind, dem Rascheln in den ausgedörrten Bäumen, den Blättern, die sich mühsam bewegten, dem Staub, der durch die Luft flog und wie Regen auf das Blechdach prasselte. Oder waren das nur Wunschgedanken? Sie fragte sich, ob die Sehnsucht nach Regen so übermächtig werden konnte, daß es einem gelang, das Geräusch durch Willenskraft heraufzubeschwören. Und irgendwann ließ sie sich einfach in den Liegestuhl sinken und verdämmerte die Zeit. Später, nachdem das Abendessen fertig war, machte sie sich zurecht und wartete auf Logan, obwohl sie nie genau wußte, wann sie mit ihm rechnen konnte. Bald gewöhnte er sich an, mit den Männern freitags und samstags ins Wirtshaus zu gehen. Anfangs hatte Josie dafür Verständnis. Schließlich arbeiteten sie alle schwer, und es war ihr gutes Recht, in einer Männerrunde ein paar Gläser zu trinken. Doch mit der Zeit wurde sie ungeduldig. Sie verabscheute es, zu warten und mit anzusehen, wie das Abendessen anbrannte, wenn sie versuchte, es auf dem Feuer warm zu halten. Jack Cambray war wenigstens bei Abenddämmerung zum Essen nach Hause gekommen und erst dann losgegangen, um sich zu betrinken. Bei Logan verhielt es sich genau andersherum. Er blieb länger und länger im Wirtshaus, und als er zu guter Letzt nur noch betrunken zur Tür hereintorkelte, überwand sie sich endlich und stellte ihn zur Rede. »Ich mache das nicht länger mit! Auch ich habe das Recht auf ein wenig Rücksichtnahme! Ist dir eigentlich klar, wieviel Geld du im Wirtshaus verschwendest, wo der Alkohol doch so teuer ist?« »Das kann ich mir leisten«, lallte er und stieß sie beiseite. »Was gibt's zum Essen? Wieder Eintopf?« »Nein. Ich habe Steak- und Nierenpastete gemacht. Logan, ich wünschte, du würdest pünktlich nach Hause kommen. Es ist sehr langweilig hier.« »Deswegen komme ich ja nicht nach Hause«, zischte er. »Du langweilst mich.« »O nein!« sagte sie. »Ich lasse nicht zu, daß du mich als Ausrede vorschiebst, damit du ausgehen und dich betrinken kannst.« »Ich betrinke mich nicht. Ich rede übers Geschäft. Du verstehst offenbar nicht, welche Verantwortung ich hier trage. Und du sitzt den ganzen Tag herum und tust nichts. Und dann gönnst du mir nicht einmal einen Drink mit meinen Freunden, nachdem wir den ganzen Tag in den dreckigen Minen herumgeklettert sind und uns krummgeschuftet haben.« Der Streit dauerte an und bewirkte nichts als eine schlechte Stimmung, weshalb Josie ihren Mann nicht mehr tadelte. Stattdessen gab sie der Stadt und ihrer Männergesellschaft die Schuld. Sie würden ja nicht für immer hierbleiben, dachte sie sich, und schließlich liebte sie Logan. Es wäre töricht gewesen, ihn zu verärgern. Sie wußte, daß er sein Bestes tat; es war ein verantwortungsvoller Posten, drei Minen zu beaufsichtigen. Irgendwann würden sie Katherine verlassen, und dann konnten sie wieder ein normales Leben führen.
Sechstes Kapitel
Sibell fand bald heraus, daß sich das Leben auf einer australischen Rinderfarm sehr von dem auf dem gemütlichen Gut der Delahuntys in England unterschied. Hauptsächlich lag das daran, daß alles hier so unvorstellbar groß war. Sie fühlte sich, als wäre sie in eine Welt von Riesen geraten. Horden von Männern – Farmarbeitern, Rinderhirten und Wachposten – ritten auf grobschlächtigen Pferden einher. Herden riesiger, bedrohlich blickender Rinder zogen übers Land. Hohe Zäune umschlossen unzählige Rinder- und Pferdepferche. Und immer wieder kamen Reiter mit knallender Peitsche herangeprescht und trieben Wildpferde vor sich her, die sie in getarnte Einfriedungen jagten. Maudie war den ganzen Tag draußen und arbeitete Seite an Seite mit den Männern. Oft war sie auf ihren Ritten durch den riesigen Besitz tagelang fort. Sibell hingegen blieb stets in der Nähe des Hauses. Charlotte ritt immer noch sehr gern, und so begleitete Sibell sie auf ihren morgendlichen Ausritten den Hauptweg entlang oder hinaus zu den bunten Lagunen, wo rosafarbene und purpurne Lotoslilien wuchsen und unzählige wunderschöne Vögel – von hübschen Finken bis zu anmutigen Brolgas – lebten. »Eines Tages muß ich Ihnen den Steinkreis in der Nähe des Hauses zeigen«, sagte Charlotte. »Bestimmt war das früher einmal ein
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