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Weites wildes Land

Titel: Weites wildes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaw Patricia
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nicht auf.« »Es tut mir leid.« Sibell zog sich zurück. »Missus schwer verletzt«, sagte Netta. »Was? Was ist geschehen? Hatte sie wieder einen Anfall?« Netta sah sie aus traurigen Augen an. »Die Missus ist schwer verbrannt. Angezündet.« Sie gestattete Sibell, auf Zehenspitzen ins Zimmer zu schleichen, wo sie Charlotte reglos unter einem dicken Federbett liegen sah. Ihr Kopf war mit Verbänden umwickelt. Sibell wurde schwindelig, und Netta hielt sie mit starken Armen fest. Mit zitternden Knien wurde sie in ihr Zimmer geführt. Sibell bemerkte, daß Polly ihr half. Polly zog ihr die Stiefel aus, und dann legten die beiden schwarzen Mädchen sie ins Bett, ohne sich die Mühe zu machen, ihr die schmutzigen Kleider auszuziehen. Sibell ließ sich in die Kissen sinken und zudecken. Sie war zu müde, um noch weiter nachzudenken. »Sie schlafen jetzt«, flüsterte Polly in demselben Tonfall, den sie sonst gegenüber Wesley an den Tag legte. Ängstlich und verstört ging Sam Lim wieder in seine Küche. Schüchtern sah Netta von der Tür aus zu, wie er ein Räucherstäbchen nahm, es anzündete und es vor einen Strauß aus Buschorchideen stellte. »Was ist das?« fragte sie. Er senkte traurig den Kopf. »Missus braucht jetzt guten Duft, denn sie kommt bald in den Himmel. Sam Lim betet, daß sie eine gute Reise hat.« Netta kam durch den Raum und nahm noch ein Räucherstäbchen. Er ließ zu, daß sie es anzündete, und freute sich, daß sie den nötigen Respekt zeigte. Aber über das Gebet, das sie unter Tränen sprach, war er doch erstaunt. »Zwei Leute gehen in den Himmel«, sagte sie. »Die arme Missus war immer so gut. Sie soll nicht allein gehen.« »Wer ist der zweite:« fragte er und glaubte, daß sie den Sinn der Zeremonie mißverstanden hatte. Doch sie wich mit schreckgeweiteten Augen zurück. »Es ist schlecht, den Namen eines Toten auszusprechen.« Und mit diesen Worten verschwand sie. Entgeistert blickte er ihr nach. Aus der Ferne hörte er das Wimmern eines Didgeridoo, und ihm fiel wieder ein, daß die Schwarzen auf der Farm über ihr »Weinen« gesprochen hatten. Inzwischen war er lange genug in diesem Land, um zu verstehen, daß die Aborigines über tiefe und unergründliche Quellen des Wissens verfügten. Zwar rangierten sie nach Sam Lims Vorstellung niedriger als die Chinesen, aber er fürchtete sich trotzdem vor ihrem Zauber. Also schimpfte und tobte er gegen die Europäer, doch hütete er sich stets, keinen Schwarzen gegen sich aufzubringen. Er hatte miterlebt, wie Männer nach einer Knochenzeremonie starben. Im Augenblick, so wußte er, weinten sie nicht um die Missus. Das kam später. Wer also war gestorben?    
     
    * * *
     
    Zack hüllte die Leiche seines Bruders in eine Satteldecke und setzte sich mit überkreuzten Beinen neben ihn. »Warum jetzt?« stöhnte er. »Wo wir es fast geschafft haben.« Er erzählte Cliff von dem ersten Viehtrieb, als sie ihre erste Herde von sechshundert Stück den ganzen Weg von Queensland hergetrieben hatten. Er war einundzwanzig gewesen und Cliff achtzehn, nur junge Burschen, aber Charlotte hatte ihnen vertraut, und sie waren erfolgreich gewesen. Sechs Monate auf dem gefährlichsten Weg des ganzen Landes. Und dann die Farm. »Mein Gott! Erinnerst du dich, wie die verdammte Farm damals aussah? Nur Wildnis… Die Zäune waren von Termiten zerfressen, und uns ist die Hälfte der Männer davongelaufen, weil wir alles auf einmal tun wollten. Und die verdammten Schwarzen, die uns das Leben zur Hölle gemacht haben.« Er schüttelte den Kopf. »Nach den ersten entsetzlichen Jahren war ich bereit aufzugeben. Am liebsten hätte ich das ganze verdammte Land den Schwarzen geschenkt! Aber du hast mir geholfen, durchzuhalten. Jeder glaubte, daß ich es war, Zack, der große Bruder, der Boß! Was hast du damals gesagt? ›Wir schaffen es, alter Junge! Überleben heißt siegen.‹« Zack fing wieder an zu weinen, aber er schämte sich seiner Tränen nicht. »Warum hast du dich jetzt nur umbringen lassen?« Doch nach einiger Zeit tätschelte er die Schulter seines Bruders. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, alter Junge. Ich kümmere mich um Maudie und das Kind. Deine Arbeit war nicht umsonst, und ich werde sie weiterführen«, versprach er. »Und deiner Familie wird immer die Hälfte gehören. Nie werden sie etwas entbehren. Und ich schicke den Jungen ins Internat nach Adelaide, genau wie du es immer gewollt hast…« Als die erste Morgenröte am Himmel stand, erhob er

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