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Weites wildes Land

Titel: Weites wildes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaw Patricia
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vielleicht blickte er ja gerade in diesem Augenblick in die Zukunft und ahnte seinen eigenen Tod. Anscheinend war es übereilt gewesen, daß er mehr über die unbekannten Stämme des Nordens hatte erfahren wollen. Aber da ihn die Frauen beobachteten, würde er nachsehen müssen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und alles in ihm rief ihm zu, besser zu fliehen. Doch wenn er diesem Ruf folgte, würde er sich in den Augen des Waray-Stammes lächerlich machen. Bis jetzt waren sie noch sehr beeindruckt von ihm, denn sie hielten ihn für einen weitgereisten und furchtlosen Zauberer. War er nicht einfach ins Haus der Weißen spaziert und hatte sich an den Küchentisch gesetzt? Nicht einmal die weißen Viehhüter hatten dieses Vorrecht. Er sah sich zwischen den bröckelnden Sandsteinen um und untersuchte sorgfältig die Gräser und Samen. »Hier waren Leute«, rief er. »Was für Leute?« fragte Sibell. Jimmy verließ den Steinkreis und kehrte zu den beiden Frauen zurück. Immer noch fühlte er sich unruhig und unbehaglich. »Ihre Leute«, meinte er und zeigte dabei auf Netta. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Niemals. Das ist ein schlechter Ort.« »Aber es waren schwarze Leute hier«, beharrte er. »Bloß welche?« »Wadjiginy«, flüsterte Netta. »Wer ist das?« wollte Sibell wissen, aber Netta schürzte die Lippen, ließ den Kopf sinken und betrachtete ihre Zehen. »Sind sie gefährlich?« fragte Sibell, an Jimmy gewandt, der das wegen Nettas Antwort vermutete. Er wäre nicht überrascht gewesen, wenn es sich um Schwarze handelte, die die Weißen als Leute vom Daly River bezeichneten. Aber er wollte Missibel nicht ängstigen. Also warf er einen Blick auf die Bäume, die steif und stumm vor ihm standen. Hinter ihnen verbarg sich eine Welt des Zaubers, und er fühlte sich durch eine schreckliche Macht zu ihnen hingezogen. Ohne zu zögern und ohne weiter nachzudenken, wandte er sich an Missibel. »Ich gehe schauen.« Dann richtete er das Wort an Netta, die ihn neugierig beobachtete. »Du bringst Missibel nach Hause.« Als er an diesem geheimnisvollen Ort allein war, sah er sich um, bis er den Stoff fand, aus dem die rituelle Schminke hergestellt wurde: weißer Ocker. Er vermischte ihn mit dem Saft der roten Beeren, entkleidete sich und malte sich seine Totemzeichen auf die Haut. Sie ähnelten nicht im mindesten den Mustern der Stämme des Nordens, die er nicht verstand. Er berührte den magischen Beutel seines Heimatlandes, damit er ihm Glück brachte, und machte sich auf den Weg, um die Schwarzen zu suchen.    
     
    * * *
     
    Es gab nur wenig, woran er sich halten konnte – kaum eine Spur, abgesehen von einigen offenbar alten Abdrücken, die sowohl ein Schwarzer als auch ein Weißer hinterlassen haben konnte, und Hufspuren. Doch er ging weiter nach Norden. Er hoffte, Mitgliedern eines Stammes zu begegnen, die ihm den magischen Ort erklären konnten. Vielleicht war es ja ein Initiationsplatz gewesen, ein ehemals heiliger Ort, der nun zu oft von Ungläubigen betreten worden war, um noch einen Nutzen zu haben. »Aber immer noch heilig«, sagte er sich. »Geister können nicht davonlaufen.« Er entdeckte frische Pferdespuren – zwei der Tiere hatten Reiter gehabt, zwei waren reiterlos gewesen – und folgte ihnen aus Neugier. Warum waren weiße Männer so weit vom Pfad abgewichen, und weshalb hatten sie Ersatzpferde bei sich? Als Jimmy aufblickte, sah er, daß dicke, dichtbelaubte Schlingpflanzen ein Dach über den Baumkronen gebildet hatten. In dieser Nacht schlief Jimmy hoch oben in den Zweigen eines Baumes. Am Morgen fand er einen Lagerplatz, wo die Reiter offenbar Schwarzen begegnet waren. Sie hatten nichts zurückgelassen, außer einem Hemd aus Kuhhaut, das an einem Baum hing. Jimmy untersuchte es und fand es sehr hübsch. Die Haut war schwarz-weiß gefleckt und sehr weich. Also probierte er das Kleidungsstück an. »Wunderbar«, stellte er fest, denn er fühlte sich in dem ärmellosen Hemd sehr wohl. Er erinnerte sich, daß die Weißen so etwas eine Weste nannten. Sie paßte ihm vortrefflich. Falls er den weißen Männern begegnete, würde er sie zurückgeben müssen, aber er hatte schließlich vor, die Wadjiginy zu finden. Die Weißen waren ihm gleichgültig. Bis zu seiner Rückkehr hängte er die Weste wieder in den Baum. Da er schon so weit gekommen war, beschloß er weiterzugehen. Mittags hörte er auf einmal Stimmen. »Sprecht mit mir!« riet er in der Sprache der Waray. Unbewaffnet trat er in eine

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