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Weites wildes Land

Titel: Weites wildes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaw Patricia
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bestäubte Netta ihr Gesicht großzügig mit Puder und stolzierte in die Küche. Seit Sam Lim losgegangen war, um seine Freunde zu besuchen, schwang sie hier das Zepter, und es machte ihr großen Spaß, im Haus der Weißen zu tun, was ihr gefiel. Auch wenn dieses Haus auf Stelzen gebaut war, die aussahen – und bei diesem Gedanken erschauderte sie – wie Begräbnispfosten. Allerdings hatten sich die Weißen bestimmt etwas dabei gedacht; sie waren so unglaublich gescheit. Im Eisschrank für das Fleisch befanden sich verschiedene Sorten kalter Braten. Netta nahm sich ein Stück Cornedbeef und aß es. Dann ging sie zu einem anderen Eisschrank, wo sie einen Krug mit einer dickflüssigen Süßspeise entdeckte, der sie nicht widerstehen konnte. Sie goß etwas davon in eine Tasse und schlürfte es genüßlich. Die Missy hatte ein wenig Champagner in ihrem Glas übrig gelassen. Netta kostete einen Schluck. Doch sie spuckte die saure Flüssigkeit angewidert in einen Eimer. Ernüchtert setzte sie ihren Rundgang fort. Im anderen Zimmer, das Zack mit dem armen, vaterlosen, kleinen Wesley teilte, lag das Kind ausgestreckt auf dem Bett und schlief tief und fest. Auch die Zwillinge hatten sich auf ihren Matten zusammengerollt. Als Netta hereinkam, regten sie sich und räkelten verärgert die langen, mageren Beine. »Was willst du?« fragte Polly. »Wesley schläft«, antwortete Netta. »Ihr beide könnt euch jetzt draußen hinlegen.« »Missus Maudie hat gesagt, wir dürfen hierbleiben, bis der Boß nach Hause kommt«, widersprach Polly, und Pet setzte sich auf. »Ist der Weihnachtsmann schon da?« »Nein, noch nicht«, antwortete Netta, der die Aufteilung der Schlafplätze inzwischen herzlich gleichgültig war. Sie betrachtete die vier Kopfkissenbezüge, die am Fußende der beiden Betten hingen, und zählte sie noch einmal. Seit Maudie Sibell angewiesen hatte, sie dorthin zu hängen, hatte sie das bestimmt schon zehnmal getan: einen für Wesley, einen für Polly, einen für Pet und einen für Netta. Die Damen hatten sich gestritten – sie stritten sich immer noch die ganze Zeit. Die Missy hatte gemeint, es wäre besser, Strümpfe aufzuhängen, aber Maudie hatte darauf bestanden, daß es Kopfkissenbezüge waren. Netta war froh, daß Maudie sich durchgesetzt hatte: in Strümpfe passen nicht so viele Geschenke hinein. »Wie kommt der Weihnachtsmann rein, wenn die Türen zu sind?« fragte Polly. »Er macht sie auf, du Dummerchen«, meinte ihre Schwester. Netta seufzte. Sie wußte noch vom letzten Jahr, daß der Geistermann mit den Geschenken nur kam, wenn alles schlief, und sie wünschte, die Familie würde endlich nach Hause kommen und zu Bett gehen. Letztes Jahr… dachte sie. Damals hatte die alte Missus Charlotte noch gelebt und auch Boß Cliff, und alle hatten immer gelacht und nicht so finstere Gesichter gezogen. Sogar an diesem festlichen Abend mußten sie sich streiten und einander anschreien. Die alte Missus hätte das nie geduldet. Mit Trauer im Herzen verließ Netta das Haus und stellte sich auf die Hintertreppe, von wo aus man den finsteren Ozean sehen konnte. Sie kühlte Gesicht und Körper mit Regenwasser. Dann hob sie den Kopf, leckte sich die Tropfen von den Lippen und rieb sich das Gesicht ab. Lange Zeit blieb Netta draußen stehen und lauschte in die Nacht hinaus. Allmählich wurde ihr, als würde sie eins mit den Naturgewalten. Das leichte Baumwollkleid klebte ihr am Körper. Sie atmete die Luft ein und streckte die Handflächen dem Himmel entgegen. Auf einmal frischte der Wind wieder auf und kam aufs Land zu. Er peitschte die Palmen, die sich unter seiner Gewalt bogen, wirbelte getrocknete Wedel in die Luft und stürzte sich auf die widerstandsfähigeren Bäume, die zuerst nicht nachgeben wollten. Doch bald zitterten auch ihre riesigen Kronen wie der Schweif einer Katze. Während Netta noch begeistert dem Schauspiel zusah, wurde plötzlich ein dicker Ast losgerissen und flog hoch über das Dach des Hauses hinweg. Sofort lief Netta hinein und weckte die Zwillinge: »Steht auf! Steht auf! Schnell, der Teufelswind kommt!« Sie packte Wesley, wickelte ihn in ein Laken und hob ihn hoch. Aufgeschreckt von dem plötzlichen Durcheinander fing das Kind an zu weinen. Aber Netta achtete nicht auf ihn. Stattdessen stieß sie die Zwillinge mit dem Fuß. »Aufstehen, sage ich! Wir müssen hier weg!« Sie polterten die Stufen hinunter und flohen auf die Straße. Polly, die neben Netta herlief, schrie: »Wir sollten uns unter

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