Weites wildes Land
rannte zu den Ställen, wo er die verängstigten Tiere befreite. Dann schwang er sich auf sein Pferd und ritt, wie von wilden Furien gejagt, in den Busch. Sein Ritt durch das Zentrum des Sturms, der an ein Wunder grenzte, wurde eine Legende. Max Klein, der deutsche Gutachter, der bald Verwalter der Morning-Glory-Minen werden sollte, bemerkte kaum etwas von dem Sturm, da er viel zu sehr damit beschäftigt war, zu feiern. Zwar war Max sonst ein nüchterner Mann, aber er meinte, sich am Heiligabend ein paar Drinks verdient zu haben. Also saß er mit einem Liter Schnaps an der Bar und sang in seinem tiefen Bariton »Stille Nacht«. Wenn das Lied zu Ende war, fing er wieder von vorne an. Hatte er Lorelei nicht einen großen Gefallen getan, als er ihren Claim mit jungen Bäumen abgesteckt und mit Felsen markiert hatte? An diese Notwendigkeit hatte die Dame nicht gedacht, und deswegen war er sich sicher, daß es ihr auch nichts ausmachen würde, wenn er auch ein paar Claims für sich selbst absteckte. Die Wolframvorräte waren reichlich, und beim bloßen Gedanken an das glänzende Metall stiegen ihm die Tränen in die Augen. Den Häusern am Doctors Gully erging es nicht besser als den Hütten der Chinesen. Nur die aus Ziegeln gemauerten Kamine blieben inmitten der Verwüstung stehen. Vom chinesischen Tempel waren nur die beiden steinernen Löwen übrig geblieben, und ein weinender Sam Lim versuchte, den schweren Balken hochzuheben, der Wang Lees Leiche unter sich begraben hatte. Als der Morgen dämmerte, krochen die Menschen aus ihren Verstecken. Ziellos streiften sie umher und konnten es kaum fassen, daß ausgerechnet sie noch zu den Lebenden zählten. Die Stille war fast erschreckend, bis ein Schwarm heiliger Ibisse über die zerstörte Stadt flog und den anderen Vögeln zeigte, daß die Gefahr nun vorbei war. Hunderte von Corellas ließen aus dem zerzausten Busch ihr Schnattern ertönen, bis sie bereit waren, sich ebenfalls in die Lüfte zu erheben. Weiß hob sich ihr kreischender Schwarm vom dunklen Himmel ab. Zack ging zwischen den benommen dasitzenden Überlebenden herum, bis er Maudie und Sibell entdeckte, die sich vor der Trümmerlawine unter einen soliden Tisch aus Zedernholz geflüchtet hatten. »Wesley!« schrie Maudie. »Was ist mit Wesley?« »Ich gehe nachsehen. Sie kümmern sich um Maudie, Sibell.« Er kletterte über die Schutthaufen und lief auf die kaum wieder zu erkennende Straße hinaus. Hilda zog Maudie aus ihrem Schlupfloch und setzte sie auf eine von Trümmern freigeräumte Stelle. »Wenigstens hat der Regen aufgehört«, sagte sie erbost. »Zumindest für den Augenblick. Und Sie müssen sich nicht ängstigen, Maudie. Zack findet den Jungen schon. Sie da…«, sie wies mit dem Kopf auf Sibell, »fassen Sie mit an.« Überall waren Männer und Frauen – schmutzig und mit zerrissenen Kleidern – damit beschäftigt, Menschen aus den Trümmern zu befreien. Viele krochen unverletzt hervor und taumelten davon. Sibell blieb bei Hilda und half ihr, Bretter und Schindeln zu beseitigen. Entsetzt erkannte sie das Ausmaß der Zerstörung. Um sie herum stiegen dichte Staubwolken auf. »Zurück!« befahl Hilda plötzlich, und im gleichen Moment tauchte der Colonel auf. »Lorelei!« rief er und packte Sibell beim Arm. »Haben Sie Lorelei gesehen?« »Die finden wir schon«, antwortete Hilda. »Aber wir haben einen Toten hier. Nehmen Sie das Klavier an der anderen Ecke, Colonel.« Gemeinsam schoben sie das umgestürzte Klavier beiseite. Sibell schrie auf. Michael De Lange war vom Gewicht des Instruments erschlagen worden. Vorsichtig hoben sie ihn hoch, wobei sein Kopf schlaff zurücksank. Dann kamen Männer, um seine Leiche wegzubringen. »Hier liegen noch mehr«, rief Hilda. »Das ist die Stelle, wo die Wand eingestürzt ist.« Noch während sie sprach, entdeckte Sibell Loreleis Kleid aus nun zerknülltem rosafarbenem Satin, das zwischen dem grauen Schutt nicht zu übersehen war. Auch der Colonel hatte es bemerkt. In wilder Angst schob er Hilda beiseite und stemmte mit all seiner Kraft einen schweren Balken hoch. »Holt sie raus!« rief er atemlos, während er sich bemühte, das große Holzstück zu halten. Sibell erkannte John Trafford, der Lorelei, die auf dem Bauch lag, mit seinem Körper schützte. Als sie bemerkte, daß auch John tot war, traten ihr die Tränen in die Augen. Sie bückte sich, nahm seine Arme und zog ihn von Lorelei weg. Die Männer hinter ihr faßten mit an, während Hilda ihre Aufmerksamkeit
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