Weites wildes Land
Viehtreiber, daß die Zwillinge nicht davongelaufen waren. Sie waren zu ihrem Volk geflohen, um Hilfe zu holen. Allmählich verstand Zack, was in dieser Nacht vor sich gegangen war. Netta hatte sie zum sicheren Flußbett gebracht, das jedoch überschwemmt worden war. Deswegen war sie mit Wesley auf einen Baum geklettert. Doch im Sturm war der Baum umgestürzt. Die Mädchen hatten sie schreien gehört, aber nichts gesehen und auch nichts tun können. Bei Tagesanbruch hatte sich ihnen dann das Schreckliche offenbart: Der Baum war fort, und die Landschaft hatte sich so verändert, daß die Mädchen sich jetzt nicht mehr sicher waren, wo sich die Tragödie abgespielt hatte. Also hatten sich die Schwarzen auf die Suche gemacht. Der alte Bygolly, der überall als Maudies rechte Hand bekannt war, führte den Suchtrupp. Sie zogen los, um Netta und Wesley zu finden; tot oder lebendig. In all seinen Jahren in Palmerston hatte Zack dieses staubige, ausgetrocknete Flußbett noch nie voller Wasser gesehen. Manchmal lief es in der Regenzeit voll und bildete eine Lagune. Aber sobald sich die ersten Sonnenstrahlen zeigten, trocknete sie wieder aus. Nun allerdings war der Fluß über die Ufer getreten. Als Zack den reißenden Strom betrachtete, wuchs seine Angst. Auf dem schlammigen Wasser schwammen zerborstene Zweige wie abgehackte Gliedmaßen. Selbst ein guter Schwimmer hätte wegen der Hindernisse unter der Wasseroberfläche sein Leben aufs Spiel gesetzt. Die Aborigines, Männer wie Frauen, suchten das neu entstandene Ufer ab. Zack kämpfte sich durchs dichte Unterholz und umrundete die Flußbiegung. Sein Ziel war die Stelle, wo sich das Wasser ins Meer ergoß. Da hörte er Rufe aus der Ferne, und Bygolly lief auf ihn zu, wobei er mit einem Beil auf das Dickicht einhackte, um einen Pfad zu schlagen. »Sie haben was gefunden, Boß«, schrie er. Zack, der in Gedanken gerade bei Cliff war, flehte, daß es keine Leichen waren. Die Aborigines riefen aufgeregt durcheinander, aber Zack hatte sie schon entdeckt. Netta und Wesley klammerten sich da draußen an einen Baum, dessen Stamm halb im Wasser hing; Netta winkte, und Zack schrie zu ihr hinüber. Vor lauter Erleichterung hätte er fast geweint. Wie dankbar war er, daß Netta klug genug war und nicht etwa mit Wesley versuchte, sich schwimmend zu retten. Zuerst dachte er daran, ein Boot zu nehmen, doch er bezweifelte, daß einer der kleinen Kähne im Hafen den Sturm überstanden hatte. Außerdem arbeitete die Zeit gegen sie. Der Baum schwankte bedenklich und konnte in der Flut jederzeit auseinander brechen. Vielleicht war er ja schon ein Stück stromabwärts getrieben und an einem Hindernis auf dem Grund hängen geblieben. Bygolly schlang sich das Seil um die Taille. »Ich gehe, Boß.« Doch eine Frau hielt ihn fest. »Nein! Du gehst nicht. Da drin gibt es Quallen.« »Ja, viele Quallen, ganz sicher«, rief eine andere Frau und sah Zack an. Dieser nickte. Er hatte die schrecklichen Wunden gesehen, die diese Quallenart mit ihren meterlangen, glitschigen Fäden einem Menschen zufügen konnten. Sie pflanzten sich in den Bächen und Flüssen fort, deren Wasserspiegel sich mit den Gezeiten hob und senkte. Zack nahm Bygolly das Seil ab und bedauerte, daß er beim Durchsuchen der Ruine seines Hauses alles bis auf die Hosen abgelegt hatte. Kleidung bot zumindest ein wenig Schutz. Der Baum schwankte wieder, und Netta rief ihm zu, er solle sich beeilen. »Halt dich fest«, schrie er. »Wir holen euch raus.« Er lieh sich von einem der Männer ein altes kariertes Hemd, schloß die einzigen beiden Knöpfe, über die es verfügte, und rollte die Ärmel herunter. Dann betrachtete er seine nackten Füße und die nackten Füße der Schwarzen, die ihn umringten. Auf Socken würde er wohl verzichten müssen. »Wir müssen aufpassen, daß die beiden nicht unter Wasser geraten«, sagte er zu Bygolly, da er fürchtete, daß das Kind das Gift der Quallen nicht überleben würde. »Das Seil hier ist zu kurz, um es an einem Baum festzubinden. Also müßt ihr Männer es halten. Ich möchte, daß ihr den Baum wie ein Floß ans Ufer zieht. Gib mir das Beil, Bygolly, vielleicht brauche ich es, um den Baumstamm freizubekommen.« Vorsichtig glitt er, das Seil um den Leib, in das warme, schlammige Wasser. Auf das erschrockene Stöhnen der Frauen achtete er nicht. »Du bist kein Held, Hamilton«, sagte er sich und zuckte jedesmal, wenn sein Fuß ein verborgenes Hindernis berührte, ängstlich zusammen. Er hielt sich
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