Weizenwampe
als Superkohlenhydrat
Die Verwandlung des domestizierten Wildgrases aus der Steinzeit in die industriellen Backerzeugnisse der heutigen Zeit war nur durch erhebliche menschliche Eingriffe möglich. Mit Teig aus dem Weizen von einst wären solche Ergebnisse nicht möglich gewesen. Der Versuch, aus Einkorn, der Urform des Weizens, einen modernen Berliner zu backen, würde eine krümelige Masse ergeben, welche die Marmelade nicht halten könnte, und in Geschmack, Konsistenz und Aussehen allenfalls, nun, eben einer krümeligen Masse ähneln würde. Neben der Kreuzung des Weizens zur Ertragssteigerung ging es in der pflanzlichen Genforschung auch um die Erzeugung von Zuchtvarianten, deren Eigenschaften für die Herstellung von Schokomuffins oder siebenstöckigen Hochzeitstorten geeignet sind.
Das moderne Weizenmehl aus Triticum aestivum (Weichweizen bzw. Brotweizen) besteht gewichtsmäßig im Durchschnitt zu 70 Prozent aus Kohlenhydraten und zu je zehn bis 15 Prozent aus pflanzlichem Eiweiß und unverdaulichen Fasern. Das geringe Restgewicht dieses Weizenmehls geht auf das Konto von Fett, vor allem Phospholipiden und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. 1 (Interessanterweise hatte Weizen ursprünglich einen höheren Proteingehalt. Emmer beispielsweise enthält mindestens 28 Prozent Eiweiß. 2 )
Weizenstärke bildet die komplexen Kohlenhydrate, die den Ernährungswissenschaftlern so gut gefallen. »Komplex« bedeutet in diesem Fall, dass die Kohlenhydrate aus Polymeren (sich wiederholenden Ketten) des einfachen Zuckers, also Glukose, bestehen. Im Gegensatz dazu setzen sich einfache Kohlenhydrate aus nur einem oder zwei Zuckermolekülen zusammen, Saccharose (Haushaltszucker) zum Beispiel aus den zwei Zuckermolekülen Glukose (Traubenzucker) und Fruktose (Fruchtzucker). Ernährungsberater oder Institutionen wie die DGE raten in der Regel, die Aufnahme einfacher Kohlenhydrate in Form von Süßigkeiten oder süßen Getränken zu reduzieren und stattdessen lieber mehr komplexe Kohlenhydrate zu verzehren.
Beim Weizen liegen drei Viertel dieser komplexen Kohlenhydrate in Form von sich verzweigenden Glukosemolekülen, dem Amylopektin , vor. Das restliche Viertel bildet eine lineare Kette aus Glukosemolekülen, die Amylose . Im menschlichen Verdauungstrakt werden diese beiden Substanzen vom Speichel und dem Magenenzym Amylase zersetzt. Amylopektin kann von Amylase leicht zu Glukose abgebaut werden, wohingegen die Amylose viel schlechter verdaulich ist und daher teilweise unverdaut in den Dickdarm gelangt. Die komplexen Kohlenhydrate des Amylopektins verwandeln sich also schnell in Glukose und treten in dieser Form ins Blut über. Wegen dieser effizienten Verdauung ist für den blutzuckererhöhenden Effekt des Weizens vor allem das Amylopektin verantwortlich.
Auch andere kohlenhydrathaltige Lebensmittel enthalten Amylopektin, allerdings nicht dasselbe wie Weizen, denn die Verästelungen entscheiden sich je nach Herkunft. 3 Am schwersten zu verdauen ist das Amylopektin C aus Hülsenfrüchten, daher der alte Spruch: »Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen.« Unverdautes Amylopektin wird erst im Dickdarm von spezialisierten Bakterien verwertet, die sich an der Stärke laben und dabei Gase wie Stickstoff und Wasserstoff erzeugen. Dieser Zuckeranteil wird vom Körper nicht aufgenommen.
Amylopektin B ist die Sorte, die in Bananen und Kartoffeln vorliegt. Sie ist zwar leichter zu verdauen als das Amylopektin C aus Bohnen, widersteht der Verdauung jedoch immer noch ein Stück weit. Das am besten verdauliche Amylopektin A hingegen stammt aus Weizen und lässt wegen seiner vorzüglichen Verwertbarkeit den Blutzucker merklich in die Höhe schnellen. Das erklärt, warum der Einfluss des Weizens auf den Blutzucker Gramm für Gramm höher ist als der von Linsen oder Kartoffelchips. Ob komplex oder nicht: Man könnte das Amylopektin A aus Weizenprodukten als Superkohlenhydrat einstufen, das aufgrund seiner besonders schnellen Verdaubarkeit effizienter in Blutzucker umgewandelt wird als nahezu alle anderen einfachen oder komplexen Kohlenhydrate.
Auch bei komplexen Kohlenhydraten gibt es demnach Unterschiede. Die einzigartigen Eigenschaften des Amylopektins A aus Weizen bedeuten aber auch, dass die komplexen Kohlenhydrate aus Weizenprodukten im Vergleich nicht besser, sondern im Gegenteil häufig sogar schlechter sind als einfache Kohlenhydrate wie Saccharose.
Wenn ich jemandem erkläre, dass Vollkornweizenbrot den Blutzucker stärker erhöht
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