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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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A-Ps Hauptwerk lag nicht weit von dem Haus entfernt, in dem ich zur Untermiete wohnte, und meine Zimmerwirtin sagte, sie suchten immer Aushilfen in der Kantine für die Nachtschicht, was für Studenten ideal sei, solange sie mit wenig Schlaf auskamen. Nun, ich war noch nie ein Langschläfer gewesen, drei Stunden in der Nacht reichen mir, und alles Übrige mache ich mit kurzen Nickerchen wett.
    Ich fing in der Küche an, bediente dann aber bald darauf an den Tischen. A-P kümmerte sich um seine Leute, die Kantine war wie ein gutes Diner, die Arbeiter am Band saßen dort genauso wie die leitenden Angestellten. Nachts waren natürlich nicht so viele Anzugträger anzutreffen, aber ein paar ließen sich immer blicken.
    Chef des ganzen Konzerns war ein Joe Proffitt. Sein Großvater hatte vor langer Zeit das Unternehmen gegründet. Wie bei den Macivers war die Firma stetig gewachsen, allerdings sehr viel schneller, und die Proffitts hatten während der gesamten Entwicklung immer ein Auge darauf gehabt. Joe Proffitt bewegte sich in ziemlich exklusiven Kreisen, wir bekamen daher von ihm nicht viel zu sehen, aber ich sollte ihn später kennen lernen. Sein Vertreter an Ort und Stelle war Tony Kafka. Er war noch jung, gehörte aber zu jenen, bei denen die Leute verstummten, wenn er den Raum betrat. Er kam oft nachts in die Kantine. Man hatte mir genau gesagt, wie er seinen Kaffee wünschte.
    Im Hinblick auf das, was später geschah, mag es komisch klingen, aber anfangs war er mir ziemlich egal. Er war freundlich, sah in mir aber nichts weiter als eine klapperdürre Bedienung. Er riss Witze über meine Figur, meinte, jemand müsste mich rausfüttern, denn wie sollte ich sonst einen Mann an mich binden können, wenn ich ihm nichts gebe, woran er sich festhalten konnte?
    Frank Phillips hingegen war einer, den ich mochte. Er war ein Computergenie in der Buchhaltung. Es gab für ihn eigentlich keinen Grund, nachts da zu sein, aber es dauerte nicht lange, bis er sich regelmäßig blicken ließ.
    Er war nicht viel älter als ich, noch Anfang zwanzig, aber ein richtiger Überflieger, der alles zu wissen schien. Absolut von sich überzeugt. Und er sah großartig aus, was er wohl auch wusste. Hatte immer einen Stall Verehrerinnen, ich fühlte mich daher geschmeichelt, als er irgendwann anfing, um mich zu werben. Er schien ehrlich an mir interessiert zu sein, an der Person, die ich war, fragte mich nach meiner Familie, meiner Vergangenheit, was ich am College treibe. Wenn man andere immerzu täuscht, kann es einem in Fleisch und Blut übergehen, ich hatte mich nämlich daran gewöhnt, Fragen nach meiner Familie ausweichend zu beantworten. Aber als er sagte: »Dickinson, aus Massachusetts … doch nicht zufällig mit Emily verwandt?«, sagte ich ihm nicht, dass ich gar nicht aus Massachusetts stamme und mich außerdem mit einem »e« schreibe, sondern hörte mich sagen: »Entfernt, glaube ich. Aber wir schicken uns keine Weihnachtskarten.«
    Ich weiß nicht, warum ich das sagte. Doch, ich weiß es. Ich war eine klapperdürre, unscheinbare Bedienung und wollte mich interessant machen.
    Ich hatte einige Emily-Gedichte in meinem Kurs für amerikanische Literatur gelesen, aber erst dann fing ich an, mich richtig damit zu beschäftigen. Albern, was? Nur weil ein toller Kerl was darüber gesagt hat.
    Um auf den Punkt zu kommen – das, was immer geschieht, geschah. Wir gingen ein paar Mal aus. Er sagte, er sei verrückt nach mir. Ich jedenfalls war verrückt nach ihm. Als wir ins Bett gingen, kramte er ein Kondom hervor. Ich nahm es ihm ab und warf es weg. Er sagte, »du bist dir sicher?«, und ich, »kein Problem«. Wahrscheinlich meinte er, ich hätte Vorsorge getroffen. Ich kleine naive Maus meinte, es wäre fürs Leben. Wozu Vorsorge treffen?
    Und als ich feststellte, dass ich schwanger war, glaubte ich wirklich, dass er sich eine Zigarre anzünden und Luftsprünge vollführen würde.
    Nun, das Einzige, wohin er sprang, war zur Tür.
    Ich sah ihn eine Woche lang nicht, und als er sich dann meldete, bot er mir Geld für eine Abtreibung an.
    Ich sagte ihm, nie und nimmer. Das war zu der Zeit, als ich erfuhr, dass er der Firmenhengst war, aber das änderte nichts an meinen Gefühlen für ihn. Ich dachte mir, wenn er sich erst mal daran gewöhnt hat, dass er Vater wird, würde er schon ruhiger werden.
    Es kamen Tage, an denen ich nichts von ihm hörte, daraus wurden Wochen. Schließlich, nach einem Monat, vergaß ich meinen Stolz und erkundigte

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