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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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nach außen hin entschieden zeitgenössisch gab, ging ihr architektonischer Geschmack überraschenderweise eher in Richtung efeuumrankte Backsteinmauern und altes Balkenwerk. Casa Alba mit ihren grünen Fensterläden, geschwungenen Balkonen, dem blauen Tennisplatz und dem nierenförmigen Swimmingpool hätte sie als disharmonisch und ganz allgemein als vulgär empfunden.
    Für Pascoe jedoch schien es genau das Richtige zu sein. Efeuumrankte Backsteinmauern und altes Balkenwerk gingen seiner Erfahrung nach Hand in Hand mit eisiger Zugluft, unebenen Böden, unzureichender Feuchtigkeitsdämmung, qualmenden Kaminen und einem Ambiente, das eher für Nagetiere als für Menschen geeignet war. Glücklicherweise würde ihre Ehe – falls er nicht im Lotto gewann – unter diesen Geschmacksdivergenzen kaum zu leiden haben.
    Der geparkte Wagen erwies sich beim Näherkommen als ein 3er BMW Touring, und darin saß eine Frau, die er nicht kannte. Er hielt hinter ihr an, stieg aus und beugte sich lächelnd zum Fenster hinab.
    Das Lächeln blieb unerwidert. Es kam überhaupt keine Reaktion.
    Nach einem Moment klopfte er sacht gegen die Scheibe.
    Die Frau ließ sie fünf Millimeter nach unten.
    »Was?«
    »Mrs. Maciver ist nicht da, oder?«
    »Nein.«
    »Wissen Sie zufällig, wann sie wiederkommt?«
    »Nein.«
    Das Fenster schloss sich.
    Sie war eine gutgebaute Frau in den Dreißigern, nicht übergewichtig, aber mit dem sportlich-muskulösen Aussehen einer Tennis- oder Hockeyspielerin. Wahrscheinlich sah sie ziemlich gut aus, mit ihrer Unfreundlichkeit aber, die ihre ausgeprägten Wangenknochen betonte und die vollen Lippen zu einer dünnen Linie schrumpfen ließ, tat sie sich keinen Gefallen.
    Er schlenderte um das Haus, spähte durch die Fenster. Drinnen sah es kühl und bequem aus, große Sessel und Sofas in weichem weißen Leder, wie dafür geschaffen, sich mit einem gekühlten San Miguel darin zu entspannen, wenn einem der Hals so trocken war wie die Witze eines alten Don. Er hätte im Dog and Duck die Gelegenheit mit dem blauen Bier ergreifen sollen.
    Als er zu seinem Wagen zurückkehrte, wusste er noch immer nicht, was er tun sollte.
    Er würde gern mit Sue-Lynn reden, wollte aber hier nicht noch mehr Zeit verschwenden. Der Tag, den Dalziel ihm zugestanden hatte, zerrann ihm zwischen den Fingern, und bislang war er von einem schlüssigen Grund für die Fortsetzung der Ermittlungen ebenso weit entfernt wie am Anfang. Alles, was er herausgefunden hatte, war, dass sich die Familienbande der Maciver durch Zerwürfnisse und Illoyalität, Missfallen und Misstrauen auszeichneten. So ähnlich wie auf dem Balkan. Ein brüchiger Frieden, unter dem alte Feindschaften und Spannungen leise vor sich hin köchelten und nur darauf warteten, wieder aufzubrechen. Aber war das so ungewöhnlich? Welche Familie hatte nicht ihr vernarbtes Gewebe? Seine sicherlich.
    Bei den Macivers jedoch gab es einen eindeutigen Fokus. Kay Kafka. Man war entweder für oder gegen sie. Entweder man verehrte oder man hasste sie.
    Keine Frage, zu welchem Lager der Dicke gehörte. Die Frau schien ihn, wie Pal junior auf der Kassette gesagt hatte, regelrecht verhext zu haben. Vor zehn Jahren hatte er den Selbstmordfall ihres Gatten übernommen, um sie zu schützen, daran führte kein Weg vorbei. Und irgendwie war es ihm gelungen, die bösartigen Unterstellungen des Sohnes aus der Welt zu schaffen.
    Und? Hatte das Stochern in der zehn Jahre alten Asche irgendwas mit dem jetzigen Fall zu tun? Vielleicht fand sich die Antwort auf der Kassette, die Dalziel ihm gegeben hatte, trotzdem zögerte er, sie sich anzuhören. Er wollte doch nur, so redete er sich ein, sagen können,
ja, es war definitiv Selbstmord
, dann konnte er sich wieder an seine statistische Analyse setzen, ohne weiter einer Spur folgen zu müssen, die in die unauslotbaren seelischen Abgründe der Menschen vom Schlag eines Andy Dalziel führte.
    Doch konnte er nicht leugnen, dass sich auch in seinen Abgründen Dinge tummelten, allen voran die unstillbare Neugier über menschliche Motive und Veranlagungen, was ihn überhaupt zur Polizei geführt hatte. Wer war hier wirklich der Missbrauchte und wer der, der missbraucht hatte? Welche Spur war wichtiger – jene mesmerische Eigenschaft, mit der Kay die meisten Männer an sich binden konnte, oder das manische Element, das in Pal juniors Aussage deutlich zum Ausdruck kam?
    Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Außerdem wusste er sowieso nicht, was

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