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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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sitze immer mit dem Rücken zur Wand, damit ich die Saloontür im Auge behalten kann.«
    Er hatte sich zum dritten Mal nachgeschenkt und betrachtete nachdenklich das Glas. Sanft nahm sie es ihm aus der Hand.
    »Du brauchst einen klaren Kopf, wenn du Joe anrufen willst.«
    »Ja, da hast du wahrscheinlich Recht. Ich hatte schon ein paar im Zug. Gab nichts anderes zu tun. Diese beschissenen Züge! Die Briten haben die Zeitmaschine erfunden – du steigst ein, und wenn du wieder rauskommst, sind Jahrhunderte vergangen!«
    »Was war diesmal schuld an der Verspätung? Laub auf der Oberleitung?«
    »Kein Laub«, sagte er. »Sondern Knochen. Irgendein armer Arsch hat beschlossen, sich uns in den Weg zu werfen.«
    »Mein Gott! Ein Mann oder eine Frau?«
    »Wer weiß? Als es passierte, waren wir ausnahmsweise mal schnell unterwegs. Schätze, um den armen Teufel wieder zusammenzusetzen, haben sie jetzt ein zwei Kilometer langes Puzzle vor sich. Scheint die Jahreszeit für Selbstmorde zu sein. Erst Pal, jetzt das. Sagt man nicht, dass aller schlechten Dinge drei sind? Wer ist der Nächste?«
    Sie umarmte ihn. Er rührte sich kaum, reagierte weder auf ihre Umarmung, noch versuchte er, sich ihr zu entziehen.
    Im Flur begann die alte amerikanische Standuhr Mitternacht zu schlagen. Ihr metallischer Glockenschlag klang diese Nacht besonders triumphierend, als wollte er sagen,
endlich ist jemand da, der mir zuhört.

[home]
    22. März 2002
     

1
    870
    E s war einer jener Frühlingsmorgen, an dem die Gedanken junger Männer zu frisch gebackenem Brot und selbst gemachter Marmelade schweifen, während Ellie Pascoes Morgenkuss leidenschaftlicher als sonst ausfiel, was dazu führte, dass Peter Pascoe später als gewöhnlich, dafür beschwingten Schritts und leichten Herzens zur Arbeit kam. Die Beschwingtheit seiner Schritte genügte nicht, um unerkannt an Paddy Irelands Erdgeschossbüro vorbeizukommen, und auch die Leichtigkeit des Herzens hielt nicht lange vor.
    »Morgen, Pete«, sagte der Inspector. »Hab hier einen Brief. Denke, der gehört Ihnen.«
    »Sie meinen, es steht mein Name drauf?«, fragte Pascoe.
    »Nicht ganz.«
    Er drehte sich zu seinem Schreibtisch und deutete auf einen Umschlag wie die Geister der Weihnachtsfeste, die den Geizhals Scrooge dazu auffordern, seinen eigenen Grabstein zu betrachten.
    Die Briefmarke auf dem Umschlag trug einen örtlichen Stempel und das Datum des Vortags, die Adresse bestand aus kruden Großbuchstaben:
    ERMITTLUNGEN IM MORDFALL MACIVER
    POLIZEI CID
    MID - YORKSHIRE
    »Da steht Maciver«, wiedersprach Pascoe. »Wir haben uns darauf geeinigt, dass das Ihre Sache ist.«
    »Da steht Mordfall«, erwiderte Ireland. »Das ist Sache des CID .«
    »Sie haben den Brief trotzdem geöffnet. Was steht drin?«
    Ireland griff sich einen transparenten Beweisbeutel, der ein A4-Blatt enthielt. Darauf stand, in derselben Handschrift wie die Adresse auf dem Umschlag, die Zahl 870 .
    »Was ist das?«, sagte Pascoe. »Ein Datum? Eine Kirchenliednummer? Die alternative Lösung für das Mysterium des Lebens, des Universums und so?«
    »Fragen Sie mich nicht«, sagte Ireland. »Mit Rätseln befasse ich mich nicht. Pete, korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber im Moscow House hatte ich den Eindruck, dass Sie ernsthafte Zweifel hegen.«
    »Die sich alle verflüchtigt haben wie die Jugend des Herzens und der Tau am Morgen. Ich bin bar jeglicher Zweifel. Von Befehls wegen. Auch wenn ich vor Zweifel aufgefressen würde, glaube ich kaum, dass es dieser Brief sehr viel schlimmer machen könnte. Verschrobene anonyme Briefe voller Anschuldigungen in sensationslüsterner Aufmachung gehören zu Selbstmorden wie das Amen in der Kirche. Es besteht also kein Anlass, dass wir wegen einer Zahl im Dreieck springen.«
    Er reichte Ireland den Beutel, der ihn nicht beachtete, sondern eine Akte auf seinem Schreibtisch aufschlug.
    »Hab die gerichtsmedizinische Untersuchung«, sagte er. »Bestätigt Tod durch Schusswaffengebrauch.«
    »Selbst zugefügt?«
    »Es wurde nichts gefunden, was etwas anderes nahelegen würde. Außer vielleicht den Spuren von Diazepam in Macivers Blut.«
    »Diazepam?« Die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts machten Drogen in all ihren Formen zu einem festen Bestandteil im Curriculum eines Polizisten, weshalb Pascoe nicht nach seiner Pharmakopoeia greifen musste, um zu wissen, dass Diazepam bei der Behandlung von Nervenleiden eingesetzt wurde und vor allem unter seinem Handelsnamen Valium bekannt

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