Wellenzauber
anerkennend. Kein Wort der Entschuldigung für ihre halbstündige Verspätung.
Federico stand auf, und sie küsste ihn rechts und links auf die Wange. Ihre Lippen fühlten sich seltsam kühl an, als streiche ein Hauch englischer Nebel über seine Haut. Mit hochgezogenen Augenbrauen bemerkte sie sein ausgetrunkenes Glas und bestellte für sich einen alkoholfreien Aperitif. Dann entschieden sie sich beide für Ravioli, mit Fischfarce gefüllt, und Miesmuscheln in Weißweinsoße. Dazu bestellten sie eine Flasche trockenen Vernaccia.
Federico beschloss, erst nach dem Essen mit Lorella Schluss zu machen. Sofort erschrak er über seine grenzenlose Gefühllosigkeit. Eben noch war er wütend auf sie gewesen, jetzt merkte er, wie gleichgültig ihm diese Frau war. Es war noch nicht lange her, da hatte er ernsthaft darüber nachgedacht, sie zu heiraten. Inzwischen konnte er das nicht mehr nachvollziehen. Lorella hatte doch niemals wirklich sein Herz berührt. Wie hatte er nur glauben können, mit ihr glücklich zu werden? Was für ein Narr er doch gewesen war! Federico wurde bewusst, wie sehr diese Bezeichnung auf sein ganzes Leben passte, und ihm verging der Appetit.
»Die Pasta ist köstlich«, bemerkte Lorella und beobachtete ihn aus halb geschlossenen Lidern. Es lag etwas Lauerndes in ihrem Blick. »Wieso isst du nichts mehr?«
»Non ho fame«, murmelte Federico.
»Du hast keinen Hunger? Das sagt der Mann, der schon mal ein halbes Porcheddu verschlungen hat?«
Auf einmal fühlte er doch etwas, ein Bedauern vielleicht, oder zumindest eine leise Traurigkeit. Er dachte an den Ausflug,den sie im Frühjahr ins Landesinnere nach Arzachena unternommen hatten. Auf dem Weg dorthin hatten sie in einer unscheinbaren Trattoria gegrilltes Spanferkel und dazu Pane Carasau gegessen, ein dünnes getrocknetes Hirtenbrot aus Weizenmehl, Hefe und Olivenöl. Lorella hatte ihn mit seinem großen Hunger geneckt. »Wenn du nicht aufhörst, so zu fressen, muss ich dich nachher gleich in dem Gigantengrab bestatten, das wir eigentlich nur besichtigen wollen.«
Federico hatte nur gelacht, und auch später, als sie die Tomba dei Giganti bei Arzachena erreichten, hatten sie einander fröhlich weiter geneckt. Bis sie still wurden angesichts dieses beachtlichen Bauwerks aus der Bronzezeit. Federico sah das Grab immer noch vor sich. Es bestand aus vier seitlichen Steinplatten und einer Deckplatte, während die Fassade von einer drei Meter hohen Stele gebildet wurde. Federico war sich angesichts dieser langen Inselgeschichte einen Moment lang furchtbar klein und unbedeutend vorgekommen. Endlich kniff Lorella ihn in die Seite und behauptete, er sei seit dem Essen richtig dick geworden. Was Unsinn war, denn Federico war von Natur aus schlank und sportlich.
An diesem Tag, das wusste er jetzt, war er dem Glück schon ziemlich nahe gekommen. Aber der Tag lag Monate zurück, und was er damals vielleicht für Glück gehalten hatte, hinterließ heute einen bitteren Nachgeschmack.
Dennoch aß er noch ein wenig weiter und musste zugeben, dass auch die Miesmuscheln, die nur ein paar Dutzend Meter entfernt in der flachen Bucht geerntet worden waren, frisch und köstlich waren.
Das Essen war abgeräumt, beide hatten sich gegen ein Dessert und für einen starken Espresso entschieden, und Lorella sah ihn erwartungsvoll an.
Er wusste nicht, was sie erhoffte, aber nun musste er endlich mit der Sprache herausrücken. »Ich habe heute Vormittag alle Testergebnisse bekommen«, sagte er ohne Einleitung und bemerkte mit einer gewissen Genugtuung, wie sie erschrocken zusammenzuckte. »Du bist kerngesund.«
»Das … verstehe ich nicht.« Ihre Stimme hatte plötzlich allen Stolz verloren, die dunklen Augen blickten schuldbewusst.
»Ist das alles, was hast du dazu zu sagen hast?«
Lorella hob die Schultern, sie schien sich eine Taktik zu überlegen. »Das ist doch ein Glück, oder?« Sie tat, als würde sie den deutlichen Vorwurf in seiner Stimme nicht hören. »Ich habe schon Angst gehabt, es wäre etwas Schlimmes.«
»So, hast du.«
»Du weißt genau, wie schlecht ich mich gefühlt habe.«
»Weiß ich das?«
»Federico!« Sie sprach so laut, dass ein paar Leute sich nach ihnen umdrehten. »Was soll das hier? Machst du mir eine Szene? Du glaubst doch nicht etwa, ich hätte dir etwas vorgespielt?«
»Ehrlich gesagt: ja. Das ist genau das, was ich glaube. Du wolltest nicht, dass ich fliege, und hast das beste Mittel gewählt, um mich zurückzuhalten.«
Lorella
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