Wellenzauber
sprang auf, aber sein unerbittlicher Blick zwang sie zurück auf ihren Stuhl. Dort sank sie förmlich in sich zusammen.
Federico musterte sie und fragte sich, warum er Lorella nicht schon viel früher durchschaut hatte. Es war letzte Woche schließlich nicht zum ersten Mal vorgekommen, dass sie ihn an einem Flug nach Deutschland gehindert hatte. Es hatte jedes Mal gute Gründe dafür gegeben, und, wenn er ganz ehrlich war, hatte er bei diesen Gelegenheiten miteiner gewissen Erleichterung auf die Reise verzichtet, obwohl er gar nicht vorgehabt hatte, alte Wunden aufzureißen. O nein! Er hätte vielleicht Verwandte besucht oder alte Freunde. Aber niemals Sina Paulsen.
Diesmal jedoch war er fest entschlossen gewesen, zu ihr zu fliegen. Aus Gründen, die niemanden außer ihn selbst etwas angingen. Wer hätte ihm auch geglaubt, wenn er erklärte hätte, er müsse eine Frau wiedersehen, um sie ein für alle Mal vergessen zu können? Um endlich frei zu sein und ein glückliches Leben mit jemandem wie Lorella Ward planen zu können?
Kein Mensch, der noch bei Sinnen war.
So buchte er seinen Flug, ohne Gründe zu nennen. Aber am Abend vor der Abreise hatte Lorella ihn angerufen und dringend zu sich nach Hause bestellt. Er fand sie in ihrem Bett, leichenblass, fiebernd und mit seltsam starr blickenden Augen. Natürlich hatte er sich Sorgen gemacht, große Sorgen. Er war Frauenarzt und kein Internist, aber selbst ein Laie hätte erkannt, dass Lorella schwer krank war. Er blieb bei ihr, pflegte sie, ließ eine ausführliche Blutanalyse machen und flog natürlich nicht nach Deutschland.
Wundersamerweise ging es ihr schon vierundzwanzig Stunden später wieder gut. Sie war schön wie eh und je, und sie schlug ihm sogar vor, ein Boot zu mieten und ein romantisches Wochenende im Archipel La Maddalena zu verbringen, wo sie versteckte und wilde Buchten entdecken würden. Er versprach ihr, darüber nachzudenken, sobald ihre Testergebnisse vorlagen, und wunderte sich nur, weil sie so rasch wegschaute.
»Also? Was hast du eingenommen, um genau im richtigen Moment krank zu werden? Welche einheimische Kräuterhexe hat dir dabei geholfen?«
Lorella sank in sich zusammen. »Ist doch jetzt auch egal«, sagte sie leise. »Es stimmt, ich wollte nicht, dass du fliegst. Ich … hatte Angst, du würdest nicht zu mir zurückkommen.«
»So ist das.« Er fühlte sich sogar ein wenig geschmeichelt, aber die Gleichgültigkeit in seinem Innern war stärker als jede andere Regung.
Schweigen entstand, und Federico fragte sich, wie er nur jemals ernsthaft hatte erwägen können, sie zu heiraten. Es lag nicht an ihr. Sie war wunderschön und klug. Und sie liebte ihn wirklich. Diese Dummheit mit der vorgetäuschten Krankheit — er hätte ihr verzeihen könnten. Jeder andere wäre darüber vielleicht sogar glücklich gewesen. Aber die Dinge lagen nun einmal anders. Er liebte Lorella nicht, und er würde sie niemals lieben können, weil …
»Was hast du gesagt?« Er tauchte wie aus einem Traum auf und sah sie an.
»Möchtest du noch mit zu mir kommen?«
Sie verstand gar nichts, sah ihn nur hoffnungsvoll an.
»Nein«, sagte Federico bestimmt. »Ich komme jetzt nicht mit zu dir. Ich kann überhaupt nicht mehr zu dir kommen. Mi dispiace. Es tut mir leid, aber wir können uns nicht mehr sehen. Privat, meine ich.«
Verdammt! Warum war das bloß so schwer? Er sah die Traurigkeit in ihren Augen, und er fühlte sich wie ein elender Mistkerl. Schnell stand er auf, ging zur Kasse und zahlte ihr Essen. Dann verließ er das Lokal, verließ die Frau, mit der er viele schöne Stunden verbracht hatte.
Federico bemerkte nicht mehr, wie Lorella wütend die Fäuste ballte und einen Fluch ausstieß, den sie einst von ihrer sardischen Großmutter gelernt hatte.In der Arztpraxis ging die Arbeit in den folgenden Tagen ihren gewohnten Gang. Lorella trug eine freundliche, aber kühle Miene zur Schau, und Federico beglückwünschte sich im Stillen zu seiner Entscheidung. Er hatte sich vielleicht nicht sehr elegant aus der Affäre gezogen, aber schließlich war es Lorella gewesen, die zuerst mit falschen Karten gespielt hatte.
Kurz erwog er, sich eine neue Sprechstundenhilfe zu suchen, doch Lorella und er waren ein eingespieltes Team. Es wäre ihm schwergefallen, auf sie verzichten zu müssen. Also ließ er alles beim Alten, nur die privaten Treffen fielen weg. Und es schien, als habe Lorella die Abfuhr akzeptiert. Er beobachtete sogar einmal, wie sie von einem fremden
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