Wellenzauber
etwas kam vor im Leben. Das hätte sie wissen müssen. Hatte sie wirklich gehofft, er würde sie heiraten?
Er richtete sich auf. Offensichtlich ja. Und er selbst hatte ja auch schon mit dem Gedanken gespielt.
Federico stand wieder auf und begann, in seinem Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Sein Apartment lag direkt über der Arztpraxis in einem liebevoll renovierten Altbau. Durch die kleinen Fenster hatte er freien Blick auf die Bucht von Olbia, zu seiner Linken lag in einiger Entfernung die Hafenmole. Vor zehn Jahren hatte Federico von Nino Tommasini die Praxis übernommen und der Einfachheit halber auch gleich die Wohnung darüber angemietet. Martha war nach dem Tod ihres Mannes in dem Fischerhäuschen am alten Hafen wohnen geblieben, das sie schon vor einiger Zeit mit ihm gemeinsam liebevoll restauriert hatte, um dort eines Tages gemeinsam ihren Lebensabend zu verbringen.
Zu Beginn war Federico entschlossen gewesen, die Räume stilvoll in altem sardischem Stil einzurichten — mit handgeschnitzten Möbeln und dem einen oder anderen antiken Stück.
Aber er hatte nie die Zeit dafür gefunden. Während seiner ersten Monate auf Sardinien opferte er nach Feierabend jede Minute dem Sprachunterricht. Denn nur, wenn er die italienische Sprache beherrschte, die ihm seine Mutter zu seinem Leidwesen nie beigebracht hatte, konnte er sich anmaßen, als Frauenarzt auf der Insel zu arbeiten.
Später hatte er sich an die spärliche, lieblose Möblierung seiner Wohnung gewöhnt. Es machte ihm nichts aus, dass sogar sein Wartezimmer unten in der Praxis gemütlicher war als seine eigenen vier Wände, und Lorellas Versuche, mit weiblicher Hand einzugreifen, hatte er stets erfolgreich abgewehrt. Ihm gefiel die Vorläufigkeit der Wohnung. Sie entsprach seinem inneren Wissen, dass er bis zum heutigen Tag auf Sardinien keine neue Heimat gefunden hatte.
Federico fuhr zusammen, als es an der Tür klingelte. Lorella!, schoss es ihm sofort durch den Kopf, und er warversucht, nicht zu öffnen. Gleichzeitig ärgerte er sich über sich selbst. Wenn Lorella die Konfrontation suchte, dann würde er sich ihr stellen.
Aber dann strömte ihm durch den Türschlitz ein geradezu exotischer Duft entgegen, und sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.
»Kasseler!«, stieß er atemlos auf und riss die Tür auf. »Wo zum Teufel hast du den aufgetrieben?«
»Fluche nicht, mein Lieber«, erwiderte Martha Tommasini und grinste breit. Ihre Haut legte sich in tausend Falten und verriet ein langes Leben im Süden. »Ich habe da so meine Verbindungen nach Deutschland. Nimm mir die Pfanne ab. In diesem Topf sind Knödel und im kleineren Sauerkraut.«
»Martha, ich liebe dich«, sagte Federico inbrünstig.
»Fein. Schade, dass du etwa dreißig Jahre zu jung für mich bist. Na ja, sagen wir zwanzig. Du siehst nämlich ziemlich alt aus in letzter Zeit.«
Federico schwieg und folgte ihr in seine moderne, wie unbenutzt wirkende Küche. Tatsächlich machte er sich hier höchstens mal ein Fertiggericht in der Mikrowelle warm. Er ahnte, dass die Hebamme nicht nur gekommen war, um sich um sein leibliches Wohl zu kümmern. Aber im Moment war ihm alles egal. Er stürzte sich auf die seltene Köstlichkeit wie ein Zackenbarsch auf eine unglückliche Sardine und vergaß für einen glücklichen Augenblick alles andere um sich herum.
Auf einmal war er wieder zwanzig, ein junger Student und für seine Größe viel zu dünn. Seit einem Jahr war er fort von zu Hause, nachdem er in München keinen der begehrten Studienplätze an der medizinischen Fakultät bekommenhatte. So war er in den Norden von Deutschland gezogen, wo es für einen Einser-Abiturienten noch einen Platz gab.
Federico konzentrierte sich ganz auf sein Studium und hatte weder Zeit noch Lust, zu kochen. In seiner Studentenbude hatte er sich höchstens mal eine Tütensuppe warm gemacht, und ansonsten von Brot, Käse und Obst gelebt. Es war sein Glück, dass er im zweiten Studienjahr bei einer so netten Familie wie den Paulsens unterkam. Als seien nur wenige Tage und nicht viele Jahre vergangen, sah er noch immer Kathrin Paulsen, Sinas Mutter, vor sich, wie sie ihm einen zweiten Teller mit Kasseler Rippchen füllte und sagte: »Wir werden dich hier schon aufpäppeln, mein Junge.« Das war sein erster Tag als Untermieter im Haus der Familie gewesen, und die kleine Sina hatte ihn damals schon angehimmelt wie den großen Bruder, den sie sich immer so
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