Wellenzauber
Mann abgeholt wurde. Nun, wenn sie hoffte, ihn dadurch eifersüchtig zu machen, so täuschte sie sich. In erster Linie fühlte er nur ungeheure Erleichterung, und erst jetzt fiel ihm auf, wie eng sie in den letzten Jahren das Netz um ihn geknüpft hatte.
»Du siehst aus wie jemand, dem ein halber Bergrücken vom Herzen gefallen ist«, sagte Martha Tommasini grinsend, als sie sich eines Morgens in einem Hotelzimmer trafen. Dort lag eine schwangere deutsche Touristin im Bett und schaute den Arzt aus ängstlichen Augen an. Sie war im sechsten Monat und hatte an einer viel zu anstrengenden Wanderung teilgenommen. Als sie nach der Rückkehr Schmerzen bekam, rief die Hoteldirektion zunächst Martha an. Aber die erfahrene Hebamme bat schnell Federico hinzu, und der hatte seine Untersuchung gerade abgeschlossen.
»Stimmt!«, sagte er zu Martha. Er wandte sich dann der Touristin zu und verordnete ihr zwei Tage strenge Bettruhe. »Sie hätten einen solchen Marsch nicht mitmachen dürfen.«
»Unser Wanderführer hat von einem leichten Spaziergang gesprochen«, gab die erschöpfte Berlinerin zurück. Federico nickte. Die Wanderungen im Landesinneren wurden von vielen Touristen unterschätzt, und die einheimischen Führer neigten gern zu Untertreibung, um ihre gut zahlenden Kunden nicht zu verlieren.
»Hier ist meine Handynummer. Wenn die Schmerzen noch einmal auftreten, rufen Sie mich sofort an. Dann lasse ich Sie ins Krankenhaus einweisen. Im Übrigen rühren Sie sich nicht vom Fleck, wenn sie keine Fehlgeburt riskieren wollen.«
Um die Nasenspitze war die Frau jetzt kalkweiß, und Federico wusste: Freiwillig würde sie keinen Schritt mehr tun. Gut so.
»Du bist aber nicht nur wegen der Patientin so erleichtert«, sagte Martha, als sie draußen im Hotelflur standen. »Du hast schon genauso breit gegrinst, als du reingekommen bist.«
Federico warf ihr einen unschuldigen Blick zu. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
Martha stieß eine Art Schnauben aus. »Mir kannst du nichts vormachen. Komm, ich spendiere dir in der Hotelbar einen Drink, und dann erzählst du mir alles.«
Eine halbe Stunde später stellte Martha ihr Glas Campari ab und starrte Federico an. »Du hast mit Lorella Schluss gemacht? Mit der perfekten Frau? Warum denn, um Himmels willen?«
»Das ist eine ziemlich lange Geschichte.« Er war jetzt völlig ernst, sein Blick war nach innen gerichtet. »Es hat etwas mit einem jungen Mädchen in Deutschland zu tun. Das heißt, inzwischen ist sie eine junge Frau. Sie heißt Sina Paulsen und arbeitet an der Geburtsklinik Sankt Marien.«
Martha horchte auf. Eine junge Hebamme? Am Krankenhaus ihres alten Freundes, Professor Reinhold Haber? Konnte es einen solchen Zufall geben? Andererseits: Auch Federico Bergmann war ja damals von Reinhold nach Sardinien geschickt worden, als ihr Mann Nino die Praxis aufgrund seiner schwerer Krankheit aufgeben musste. Offenbar waren ihre Lebenswege enger miteinander verknüpft, als sie bisher gedacht hatte.
»Und wegen Sina hast du mit Lorella Schluss gemacht?«, hakte sie nach.
»Nun, nicht direkt.«
Martha spürte, wie sie die Geduld verlor. »Federico, kannst du jetzt bitte mal Klartext reden?«
»Wenn das so einfach wäre«, erwiderte er. Aber dann fing er endlich an zu erzählen, und Martha hörte gespannt zu, während in ihrem Kopf ein ganz bestimmter Plan Gestalt annahm.
6. Kapitel
Müde sank Federico Bergmann in einen Sessel, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Es war schon spät am Abend, und er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Zu dem üblichen Stress in der Praxis, auf Hausbesuchen und Kurzvisiten bei Touristinnen in den Hotels in und um Olbia kam seit ein paar Tagen auch die extrem gereizte Stimmung zwischen ihm und Lorella. Nicht, dass seine Sprechstundehilfe in irgendeiner Form ihre Arbeit vernachlässigt hätte. Nein, so etwas konnte Federico ihr nicht vorwerfen. Das Gegenteil war der Fall: Sie war sogar noch pünktlicher und penibler als früher. Aber sobald sie das Wort an ihn richtete, nahm ihre Stimme einen Klang an, der die Luft um ihn herum zum Klirren brachte. Ihr Schweigen war beinahe noch schlimmer. Dann starrten ihre dunklen Augen ihn durchdringend an, und ihm wurde kalt, obwohl das Thermometer draußen mehr als dreißig Grad anzeigte.
Himmel! Federico stieß einen tiefen Seufzer aus. Lorella gab ihm das Gefühl, der größte Schuft auf Erden zu sein, dabei hatte er nichts weiter getan, als ihre private Beziehung zu beenden. So
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