Wellenzauber
sehnlich gewünscht hatte.
Schlagartig ließ er Messer und Gabel sinken. »Ich habe auch um sie getrauert«, sagte er, noch ganz in seinen Erinnerungen versunken.
»Um wen?«, fragte Martha behutsam.
»Sinas Eltern. Kathrin und Johannes Paulsen. Ich habe dir doch von ihnen erzählt.«
»Ja«, sagte sie schlicht.
»Ich habe das noch nie jemandem gesagt. Damals, als sie beide bei dem Autounfall ums Leben kamen, da musste ich mich um Sina kümmern. Das Mädchen war doch erst fünfzehn und hatte niemanden außer mir. Ich habe meine eigene Trauer unterdrückt, aber in Wahrheit war ich untröstlich.«
Martha nickte nur.
»Kathrin und Johannes haben mich immer wie einenSohn behandelt. Bei ihnen habe ich mich fast wie zu Hause gefühlt, und meine Mamma in München war beruhigt, weil es mir so gut ging.«
»Das war schwer für dich, aber du hast richtig gehandelt.« Martha stand auf und räumte das Geschirr ab. Dann ging sie voraus ins Wohnzimmer, zauberte aus ihrer Tasche zwei Flaschen deutsches Pils und reichte ihm eine davon. Sie setzten sich auf sein ungemütliches Sofa und tranken ihr Bier direkt aus der Flasche, wie zwei gute alte Freunde, die sie ja auch waren.
»Ich bin froh, dass ich endlich die ganze Geschichte kenne«, begann Martha nach einer Weile. »Aber ein paar Fragen habe ich noch.«
Federico nickte. Nun würde er den wahren Grund für ihren Besuch erfahren.
»Nach dem, was du mir schon neulich über sie verraten hast, scheinst du ziemlich gut über Sinas heutiges Leben Bescheid zu wissen. Woher?«
»Ganz einfach. Ich habe noch Freunde in der Stadt und auch an der Klinik Sankt Marien. Die halten mich über Sina auf dem Laufenden.«
»Verstehe.« Martha nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Flasche, und Federico tat es ihr nach. Er ahnte, dass Martha noch nicht zufrieden war.
»Aber warum dieses plötzliche Ende mit Lorella? Was hat diese Sina wirklich damit zu tun? Ich meine, du hast mir erzählt, dass dieses Mädchen wie eine kleine Schwester für dich war. Ich kann ja nachvollziehen, dass dir noch etwas an ihr liegt. Aber findest du es nicht selbst ziemlich merkwürdig …«
»Selbstverständlich!«, unterbrach Federico sie und fing sich von Martha einen verblüfften Blick ein. »Es ist merkwürdig,es ist nicht normal, aber ich komme einfach nicht dagegen an.«
»Wogegen?« Ihre Stimme war jetzt wieder ganz sanft.
»Ich habe Sina damals geliebt«, sagte Federico leise. »Nicht wie ein Bruder seine kleine Schwester, sondern wie ein Mann eine Frau. Natürlich nicht, als sie noch ein Kind war. Aber etwa ein Jahr bevor ihre Eltern starben, da merkte ich plötzlich, wie ich immer öfter ihre Nähe suchte. Ich wollte es mir lange nicht eingestehen, aber schließlich wurde mir klar, dass ich dieses Mädchen über alles liebte. Natürlich habe ich versucht, meine Gefühle zu unterdrücken, es war jedoch verdammt schwer. Als dann der Unfall passierte, wusste ich gar nicht mehr weiter. Schließlich war ich heilfroh, als diese Tante von Sina aufgetaucht ist. Ich wollte nur noch weg. Einen anderen Ausweg sah ich nicht. Wenn ich eine möglichst große Entfernung zwischen mich und Sina legen würde, dann würde ich sie hoffentlich vergessen können. Durch Flucht musste es möglich sein, mir diese Liebe aus dem Herzen zu reißen.«
Martha gab einen leisen Ton der Zustimmung von sich, so als hätte sie genau diese Antwort erwartet. »Und heute?«, fragte sie dann. »Liebst du sie immer noch?«
Federico schüttelte heftig den Kopf. »Das ist doch unmöglich, oder? Ich denke, Sina ist zu einer fixen Idee für mich geworden. Und ich muss sie nur endlich wiedersehen, um davon freizukommen. Man kann einen Menschen nicht lieben, den man seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Das wäre vollkommen absurd und unlogisch.«
»Du irrst dich. Die Liebe kennt keine Logik, wusstest du das nicht?«
»Meinst du etwa, ich liebe sie noch?« Der Gedanke war so ungeheuerlich, dass Federico nur ganz leise sprach.
»Ich meine gar nichts. Ich kann mir kein Urteil erlauben. Aber es ist doch bemerkenswert, dass du in all den Jahren keine feste Bindung eingegangen bist. Hast du darüber schon mal nachgedacht?«
»Die Arbeit …«
»Mach dir nichts vor. Es liegt nicht an der Arbeit, und es liegt jetzt auch nicht an Lorella. Der Grund für deine Unrast und für deine Unfähigkeit, auf Sardinien wirklich anzukommen, liegt ganz allein in deinem Herzen begraben.« Auf einmal grinste Martha, wie vorhin, als sie mit dem
Weitere Kostenlose Bücher