Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wellenzauber

Wellenzauber

Titel: Wellenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Johann
Vom Netzwerk:
volles Haar und sah sich im Büro um. Auf seinem Schreibtisch türmten sich die Krankenakten, auf dem Monitor seines Computers blinkte das Zeichen für eingegangene E-Mails, die er noch beantworten musste. In einer halbe Stunde stand eine Besprechung mit dem Klinikverwalter an, und Haber hatte sich noch keine Argumente zurechtgelegt, um die Anschaffung von mindestens zwei Herzmonitoren für die Frühchenstation durchzusetzen. Mal ganz davon abgesehen, dass er mit seinen beiden Oberärzten noch die Vertretung für die nächsten zwei Wochen klären musste.
    Haber unterdrückte einen Fluch. Wie sollte ein Mann wie er unter solchen Bedingungen seinen langersehnten Urlaub antreten, ohne vorher noch einen Herzinfarkt zu bekommen?
    »Die Dame sagt, es ist sehr wichtig«, erwiderte seine Assistentin ungerührt. »Es geht um Leben und Tod, und sie sollen an das Baby mit der Nabelschnur um den Hals denken.«
    Haber musste sich plötzlich an der Kante seines Schreibtisches festhalten. Herr im Himmel! Das konnte doch nicht wahr sein. Nicht nach all den Jahren! Nicht diese Frau! Bisheute verfolgte sie ihn in seine Alpträume. War das nicht genug?
    »Stellen Sie durch«, sagte er schwach.
    »Ciao, mein Alter, wie geht’s denn so?« Ihre Stimme klang, als stünde sie im Nebenzimmer, und das ließ auf seiner Stirn kalten Schweiß ausbrechen. Professor Haber, der mächtige Klinikchef von Sankt Marien, wurde auf einmal zu einem ängstlichen Mann.
    »Martha«, sagte er. »Martha Schmidt.«
    »Tommasini«, korrigiert sie ihn. »Schmidt habe ich damals geheißen, bevor ich auf Sardinien geheiratet habe. Erinnerst du dich an meinen Campingurlaub nach dem ersten Jahr als Hebamme? Da habe ich meinen Nino kennengelernt. Sechs Monate später waren wir Mann und Frau.«
    »Äh, ja.« Dunkel erinnerte er sich an eine Hochzeitskarte, die er vor Jahren bekommen hatte, und an seine Erleichterung, weil Martha so weit weggezogen war. Aus den Augen, aus dem Sinn. So hatte er damals gedacht und sein Leben weitergelebt.
    »Was willst du?« Haber ärgerte sich über das leichte Zittern in seiner Stimme, konnte aber nichts dagegen tun. War jetzt der Moment gekommen? Würde Martha die alte Schuld eintreiben? Oder gar nach all den Jahren ihr Gewissen entdecken und im Nachhinein noch einen Kunstfehler anzeigen?
    Lächerlich, dachte er. Sie würde ihn um einen Gefallen bitten, nicht mehr. So wie damals, als ihr Mann schwer krank geworden war und sie dringend nach einem Vertreter für die Praxis in Olbia gesucht hatte. Er hatte ihr Federico Bergmann geschickt, seinen frisch promovierten Lieblingsstudenten, der ihm gerade angekündigt hatte, er werde aus der Stadt fortgehen. Aus Gründen, die er seinem Doktorvaternicht verraten wollte. Professor Haber hatte gehofft, Federico würde nach kurzer Zeit zurückkehren.
    Aber dann starb Marthas Mann, und der junge Arzt blieb für immer auf der Insel. Für Haber ein herber Verlust. Hatte er doch gehofft, Federico würde eines Tages sein Nachfolger werden, wie ein Sohn, den er sich immer gewünscht und nie bekommen hatte.
    »Das ist aber keine nette Begrüßung«, drang es durch den Hörer.
    »Martha, ich bin gerade sehr beschäftigt. Morgen früh fliege ich mit meiner Frau in die Ferien, und ich habe noch tausend Dinge zu erledigen.« Er biss sich auf die Lippen. Zu spät.
    »Ach ja, wohin denn?«
    Der Professor ließ sich in seinen Schreibtischsstuhl fallen. Martha konnte er nichts vormachen. Entweder hatte sie etwas herausgefunden, oder es handelte sich um einen geradezu unglaublichen Zufall. So oder so würde sie die Wahrheit aus ihm herauskitzeln.
    »Nach Sardinien«, sagte er.
    Am anderen Ende der Leitung blieb es einen Moment still. »Interessant«, meinte Martha dann und verriet ihm nicht, ob das für sie eine Überraschung war.
    Eher nicht, dachte er jetzt. Soweit er wusste, kannte die Hebamme in Olbia Gott und die Welt. Irgendjemand musste ihr verraten haben, dass er einen Aufenthalt in einem exklusiven Hotel an der Costa Smeralda gebucht hatte.
    Prompt hakte sie nach: »Und das sollen wirklich nur Ferien werden? Rein zufällig auf Sardinien? Du hast nicht etwa vor, einen erstklassigen Frauenarzt zurück an deine Klinik zu locken?«
    In der Verbindung knackte es, was auf Haber beruhigend wirkte. Es lagen also doch über zweitausend Kilometer zwischen ihm und Martha.
    »Selbstverständlich nicht«, gab er entrüstet zurück, obwohl er insgeheim genau daran gedacht hatte. »Aber ich bin vierundsechzig, Martha,

Weitere Kostenlose Bücher