Weller
ausgerechnet in dem Drogeriemarkt auf, in dem die Spanner-CD gefunden worden war.
Ich ermahnte mich, nicht jeden Menschen, der von der Norm abwich, sofort als krank oder gestört einzuschätzen, war doch eine Maxime meines Handelns: ›Lasse dich nicht vom Äußeren eines Menschen blenden.‹
Wir trugen ihre Einkäufe zu meinem BMW und auf halber Strecke nach Plüschow hatte sie mir bereits ihre komplette siebenundzwanzigjährige Lebensgeschichte erzählt. Einzelkind, die Eltern wohlhabende Anwälte, die ihrer Tochter jeden Wunsch von den Lippen ablasen. Die Mutter war gebürtige Berlinerin, was Connors gutes Deutsch erklärte. Nach ihrem Kunststudium in Kalifornien hatte Connor sich treiben lassen, wechselnde Liebhaber und Liebhaberinnen verschlissen. Dann hatten ihr die Eltern eine Reise nach Europa finanziert. Vor dem dreimonatigen Stipendiumsaufenthalt in Schloss Plüschow war sie mehrere Wochen quer durch den Kontinent gereist.
»Sie haben nämlich einen Schuldkomplex wegen dem da.« Ich blickte rasch hinüber zu ihr, sah, wie sie auf ihr linkes Auge zeigte. »Das ist ein Glasauge. Das richtige habe ich bei einem Unfall verloren, als ich drei Jahre alt war. Meine Mom und mein Daddy geben sich die Schuld daran. Deshalb tun sie alles für mich.« Sie kicherte. »Das ist sehr praktisch.«
Ich versuchte, das Gespräch auf ihre Fotografien zu lenken. »Hast du weiter an deiner Dummy -Serie gearbeitet?«
»Klar, ich bin jede Nacht unterwegs. Ich zeige dir die neuen Arbeiten, wenn du willst.«
Eine halbe Stunde später standen wir in ihrem Atelier und ich betrachtete zehn neue LP-Cover große Fotos an der Wand. Der einsame Kioskbetreiber, der in fahlem Licht an seinem nächtlichen Tresen lehnte, erinnerte mich an Gemälde von Edward Hopper. Gleich daneben ein bleiches rundes Kindergesicht ohne jeden Ausdruck, das körperlos hinter einer Fensterscheibe zu schweben schien. Ein nacktes Paar, das auf dem Bett eher miteinander zu ringen schien, als Liebe zu machen. Eine uralte Frau im Bademantel, die unter einer Lampe am Tisch saß und in ihren Becher starrte. Männer, Frauen, Kinder. Alle wirkten verlassen, einsam, traurig.
»Es ist doch so«, unterbrach Connor meine Betrachtungen. »Lohnenswerte Zeitgenossen sind entweder schön, originell oder witzig. Anderes ist nicht wichtig beziehungsweise folgt diesen Eigenschaften. Du, zum Beispiel, bist originell. Dieses Modell lässt sich übrigens auch auf andere Lebewesen und auch auf Gegenstände oder Orte übertragen. Nimm zum Bei-spiel nicht nur diese Orte, sondern auch diese Typen.« Sie deutete auf die Fotos. »Die lohnen nicht, ihnen zu begegnen, wecken bei niemandem Interesse, sind es nicht wert, einen Gedanken an sie zu verschwenden. Aber wenn ich sie fotografiere, werden sie plötzlich zu etwas Lohnendem. Darin besteht meine Kunst.« Ihre kräftigen Hände modellierten die Hybris ihrer Worte mit weiten Schwüngen.
Ich schluckte eine Antwort auf diese zynische, verächtliche Einstellung herunter. Auch wenn diese verwöhnte Amerikanerin nicht geistesgestört sein sollte – ihre Ideen über die Menschheit und deren Kategorisierung verursachten mir eine Gänsehaut. Ich lehnte sowohl einen Kaffee als auch ein Bier ab und verabschiedete mich bald. An der Tür des Ateliers drehte ich mich noch einmal um. Connor hatte sich Stiefel und Strümpfe ausgezogen und ich betrachtete ihre Füße, die groß wie die eines Mannes waren.
»Machst du diese Ausdrucke eigentlich selbst oder gibst du auch etwas weg?«
»Der Drucker, den ich hier gekauft habe, ist sehr gut. Der genügt für Prints in dieser Größe.« Sie klopfte auf das große Gerät, das neben ihr auf der Arbeitsplatte stand.
»Kommst du wieder, großer Mann?« Sie stand auf, kam mit zwei, drei wiegenden Schritten auf mich zu, sah mir mit ihrem bestürzend blauem Blick in die Augen. »Es kann sehr einsam sein, hier im Schloss.«
Flirtete sie? Ich war froh, als die große, schwere Eingangstür des Schlosses mit einem dumpfen Geräusch hinter mir zu- fiel. Draußen werkelte der Hausmeister in dem bepflanzten Rondell auf dem Schlossplatz herum. Als er mich aus dem Gebäude kommen sah, hielt er inne und starrte mich, die Hacke in der Hand, an.
»Tachschö.«
Er hatte mich tatsächlich angesprochen. Das hatte ich nicht erwartet, so scheu, wie er wirkte. Ich grüßte zurück.
»Schönes Wetter heute.«
»Sie waren doch neulich schon mal hier. In der Ausstellung. Und bei der Amerikanerin.«
Ich
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