Weller
wieder später nach Hause gekommen als gewöhnlich, hatte Ellen nichts davon gesagt, dass ich nach Feierabend meine Observationen wieder aufnehmen wollte, geschweige denn, dass ich sie telefonisch über meinen Abstecher nach Plüschow informiert hätte. Ich Idiot! Ich zuckte innerlich zusammen. Warum rief ich sie nicht einfach an? Ich tastete nach meinem Telefon und zog es aus der Jacke. Akku leer! Hastig suchte ich das Ladekabel und wartete einen Moment, bis die Spannung genügte, um zu telefonieren. Der Teilnehmer ist zur Zeit nicht zu erreichen. The person you have called is temporarilly not availible. Wie ich diese Ansage liebte! Ich schmetterte das Handy auf den Küchentisch. Durch die Anspannung der letzten Wochen war ich alles andere als ausgeglichen und gelassen. Mühsam bekämpfte ich meine Wut über Ellens Unbedarftheit, mir keine Nachricht hiergelassen zu haben. Sie wusste doch, wie sehr ich mich zurzeit um ihre Sicherheit sorgte. Doch kannte ich mich zu gut, als dass mir entgangen wäre, wie ich mit Hilfe der Wut nur meine Angst kaschierte. Es gab einfach nichts, was ich tun konnte, um sie zu lindern. Ich wusch mir die Hände und strich mir im Anschluss ein wenig Handcreme aus einer von Ellens Tuben auf die Handrücken. Sie war, seit ich sie kannte, ängstlich besorgt, dass ihre Hände durch die grobe Arbeit unansehnlich würden und hatte eine regelrechte Handcrememanie ausgebildet, wie ich fand. Ständig probierte sie neue Sorten, so dass inzwischen eine ganze Batterie Tuben und Tiegel in unserem Bad und in ihrer Werkstatt herumstanden. Dabei fand ich ihre Hände wunderschön. Die langen Finger waren kräftig, die Fingernägel breit und wohlgeformt und auf lange, womöglich noch rot lackierte Krallen stand ich sowieso nicht.
Der Geruch der Creme erinnerte mich sofort intensiv an Ellen und ich schnupperte immer wieder an meinen Händen, als könne ich meine Frau damit herzaubern. Die Katzenklappe dengelte und Quax kam hereingeschnürt. Sie rieb sich an meinem Bein, schnurrte nähmaschinenlaut und begann, als dies nicht den gewünschten Effekt zeigte, ausdauernd zu miauen. Also hatte Ellen sie noch nicht gefüttert. Das sah ihr gar nicht ähnlich. Meine Sorge wuchs. Ich öffnete eine Dose und servierte Quax ihr stinkendes Abendessen. Zufrieden senkte sie ihren, für eine Katzenfrau ungewöhnlich dicken Kopf über den Fressnapf.
Um draußen an der Straße nach Ellens Auto Ausschau zu halten, stieß ich die Scheunentür auf und trat auf den Gehweg vor unserem Haus. Da, zwischen der Nachbareinfahrt und der Straßenlaterne stand er, der kleine blaue Japaner mit der Anti-Atomkraft-Sonne auf der Heckklappe. Ich verstand immer weniger. Denn auch unsere beiden Fahrräder lehnten neben den Müllboxen. Sie konnte also nur zu Fuß unterwegs sein. Denk nach, Weller! Bodo, der Nachbarshund, fiel mir ein. War sie mit ihm Gassi gegangen? Ich lief zwei Häuser weiter und brauchte gar nicht erst zu klingeln, denn ich sah Bodo unter der Hollywoodschaukel im Garten liegen und an einem kaputten Fußball nagen.
Die Sonne sank schon, als ich mich auf den Weg hinunter ans Wasser machte. Hier am Schilfgürtel und im angrenzenden Wäldchen suchte Ellen von Zeit zu Zeit nach Treibgut, Steinen oder Bruchholz. War sie heute zu so einer Tour aufgebrochen?
Ich schnappte mir den Hausschlüssel, riss das Ladekabel wieder aus dem Handy – ein Ladebalken im Display reichte mindestens für einen Notruf – und steckte es ein. Der Sand knirschte unter meinen Sohlen. Ich passierte die Barriere aus Stahlrohren, die Fahrzeugen die Passage zum Naturschutzgebiet verwehrte. Der handtuchschmale, unbefestigte Weg wurde flankiert von Gräsern und Sträuchern, deren dichtbelaubte Zweige all das vor Blicken verbargen, was sich weiter als ein, zwei Meter hinter ihnen befand.
Ein wenig außer Atem erreichte ich die Weggabelung. Linker Hand ging es direkt zur schilfbewachsenen Uferzone mit Blick bis zur Wismarer Altstadt. Hier, in den kleinen sandigen Buchten, lagerten oft Ausflügler oder Angler, Abenteuerlustige wateten oder schwammen hinüber zum alten, auf Grund gelaufenen Betonschiff, das eine unheimliche Ausstrahlung besaß, Assoziationen an ein Kriegsschiff oder an ein mit Untoten bemanntes Geisterschiff verströmte. Mein Segelboot fiel mir ein, die Ellen . Möglicherweise war es Ellen gar nicht bewusst, doch dass ich mein Boot, welches ich mir ein Jahr nach meiner Übersiedelung nach Wismar gekauft hatte, auf ihren Namen
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