Weller
bestätigte.
»Interessieren Sie sich für Malerei?«
Ich nickte vage.
»Ich male auch.« Er beugte sich wieder zu den Pflanzen hin-unter. »Vielleicht zeige ich Ihnen meine Bilder, wenn Sie mal wieder hier sind.«
Ich bedankte mich, schloss den BMW auf und ließ mich erleichtert auf den Sitz fallen. Für heute hatte ich genug von den Verrücktheiten anderer Leute. Selbst der Hausmeister des Künstlerhauses Plüschow hatte etwas Exaltiertes an sich.
***
Zuhause angekommen, machte mich auf die Suche nach Ellen. Im Garten brauchte ich nicht nachzuschauen – es regnete zwar nicht, doch war es kühl und windig. Also schob ich die Tür zum Atelier auf. Das Abendlicht, das durch die beiden bleigerahmten Stallfenster fiel, genügte, um Ellens Reich zu überblicken. Ihre Werkbänke und frei im Raum stehenden Arbeitspodeste waren aufgeräumt. Der Haken des an seinem fahrbaren Gestell befestigten Flaschenzugs war leer. Die mindestens dreißig Schubladen des metallenen Materialschranks – ein Fundstück aus einer alten Schlosserei – waren alle geschlossen. Auf den Vorderseiten war auf Papierkärtchen in Ellens runder Schrift verzeichnet, was sie enthielten: Schleifpapier, Bohrer lang, Feilen + Raspeln, Spaltkeile . Natürlich standen und lagen überall Äste und Teile von Stämmen in unterschiedlicher Dicke herum, im Schraubstock der Werkbank klemmte quer ein armlanger Ast, bereits bearbeitet, der an eine Frauenfigur mit erhobenen Armen erinnerte. Aber ihre Werkzeuge hingen alle an den Wänden, wo sie hingehörten, die Holzhämmer standen aufgereiht wie Kegel am Ende einer Kegelbahn und die Kettensägen lagen nebeneinander auf ihrer Ablage unter einem der Arbeitstische.
Doch wo war Ellen? Ich schob die Tür ins Schloss und wanderte durchs Haus.
»Ellen?«
Das Haus schien den Atem anzuhalten. Das Pendel der antiken Standuhr, die Ellen von ihrer alten Tante geerbt hatte, setzte jeder Sekunde einen klackenden Schlusspunkt. Ich durchquerte unseren Wohnraum, auf der Suche nach einer Nachricht. Doch weder auf der alten Teekiste vor dem Sofa noch auf dem Schreibtisch lag ein Zettel, und auf der Schiefertafel an der Küchenwand stand in Kreideschrift lediglich Zucker und Müllbeutel . Obwohl es unwahrscheinlich war, dass Ellen sich oben aufhielt ohne mir zu antworten, stieg ich die Hühnerleiter empor. Oder ging es ihr nicht gut, schlief sie? Ich spähte vom oberen Ende der Leiter in den großen, niedrigen Raum. Unser Futon war leer, der deckenhohe, rote Tüllvorhang, der am hinteren Ende den Schlafbereich vom Ankleidebereich mit den an Eisenketten von der Decke hängenden Kleiderstangen und offenen Regalen trennte, bauschte sich im Windzug, der durch das einen Spaltbreit offen stehende Dachfenster fuhr. Eine eiserne Faust umklammerte mein Herz. Wo um alles in der Welt war Ellen?
Ich achtete nicht darauf, wohin ich trat, und rutschte gleich zwei Sprossen auf einmal hinab, fing mich mühsam ab und schnappte nach Luft. Mach dich nur nicht verrückt, Weller! Nach einem Blick ins leere Bad blieb ich mitten im Wohnraum stehen, versuchte mich zu erinnern, ob Ellen heute Morgen oder gar gestern Abend erwähnt hatte, welche Pläne sie für den heutigen Tag hegte. Nein, ich war mir sicher, dass sie nichts gesagt hatte. Mein Blick fiel auf den Computer, mit dem die Überwachungsanlage verbunden war. Ich weckte ihn aus dem Ruhezustand und ließ die aktuellsten Aufzeichnungen im Schnellvorlauf abspielen. Nichts. Die letzten Aufnahmen waren zwei Tage alt. Da war der Bewegungsmelder angesprungen, als ich die zu sehr ins Kraut geschossenen Ginsterbüsche am Haus beschnitten hatte. Nun pflegte Ellen auch nicht an unseren Hauswänden entlangzuschleichen. Es war also nahe liegend, dass mir die Videoaufzeichnungen keinen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort gaben. Eine Weile beobachtete ich den großen, leicht korpulenten Mann mit dem langen dünnen Pferdeschwanz dabei, wie er mit der Heckenschere hantierte und mit widerspenstigen Zweigen kämpfte. Ich versuchte, mich zu beruhigen. Schließlich lebten wir nicht nach starrem, ritualisiertem Rhythmus miteinander. Jeder von uns hatte seinen eigenen Terminkalender, traf sich mit Freunden, wann und wo er wollte. Wir wussten beileibe nicht immer, wo der andere gerade steckte, wann er nach Hause kommen würde. Gemeinsame Mahlzeiten gab es regelmäßig nur an den Wochenenden und nur, wenn es gerade einmal passte, gelegentlich auch in der Woche. So war ich selbst ja heute Abend auch mal
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