Weller
fataler Vertrauensbruch Zorn gegenüber. Noch verspürte ich einen Rest von Loyalität und ruderte, auf Holters Nachfrage hin, auch sofort zurück.
»Ist nur so ein Eindruck, kein Faktenwissen.«
Doch die Saat war gelegt.
***
Ich versuchte, mich irgendwie von meinem Verdacht gegen Zorn abzulenken, aber als er am Sonntag beim Boule auftauchte, sah ich alles wieder vor mir. Sein fast schmieriges Werben um Ellen, seine große Kamera mit dem beinahe obszön langen Teleobjektiv, das er auf sie gerichtet hatte. Zum Glück war Ellen heute zu Hause geblieben. Sie arbeitete an Skizzen zu ihrem neuen Projekt – einer um das Thema Augen kreisenden Statue aus Holz und Weidengeflecht – und war froh, mich aus dem Haus zu haben.
Ich nickte Zorn zu, als er zu uns Spielern auf das Plateau mit den drei Bahnen stieg. Anders als manch anderer Klient hatte er keine Vorbehalte, in der Öffentlichkeit die Bekanntschaft mit mir zu demonstrieren.
»Moin, Weller.« Er ließ die Fototasche auf den Sand gleiten, zog sich die Windjacke aus und setzte sich, wie die anderen Zaungäste, auf einen der dicken Baumstämme, die als Bänke fungierten. Seine Augen blieben hinter der Sonnenbrille verborgen und sein Gesicht lag im Schatten seines Mützenschirms. Von hier oben aus konnte man bequem nicht nur die Spieler beobachten, sondern hatte auch das lebendige Panorama der Hafeneinfahrt mitsamt Baumhaus , Kaispaziergängern, ein- und auslaufenden Schiffen im Blick. Ich musterte Zorn. Hatte er ein Wadentattoo?
Meine Augen irrten hinunter auf seine Unterschenkel, die jedoch von den Hosenbeinen vollständig bedeckt waren. Inzwischen war ich so weit, dass ich Tätowierungen an seinen Beinen sofort an Kommissar Luckow gemeldet hätte. Denn sicherlich hatten die Kriminaltechniker die Aufnahmen der Überwachungskamera längst so gründlich bearbeitet, dass die Motive der Tattoos erkennbar geworden waren. Die anderen Boulisten und ich waren gerade dabei, zwei Tripletten zu spielen – also drei gegen drei. Wolfgang Zorn schaute von seinem Platz aus schweigend zu, bis meine aus mir, einem Studenten und einem Wahlwismarer Anwalt bestehende Mannschaft nach mehreren Durchgängen – im Fachjargon Aufnahmen genannt – 13 Punkte erreicht, also gewonnen hatte. Der Anwalt, der Student und der Hamburger Tourist aus der gegnerischen Mannschaft verabschiedeten sich mit Handschlag von uns allen und Zorn bildete nun mit mir eine Doublette. Mich auch zu verabschieden, wäre mit zwar lieber, aber unhöflich gewesen, denn für das Spiel benötigte man eine gleiche Anzahl Spieler. Also starteten mein Klient und ich gegen das verbliebene Rentnerehepaar aus Wendorf – Stammgäste auf dem Bouleplatz wie ich – eine neue Partie. Der Ehemann, ein Dickerchen mit Glatze und Schnurrbart, dem nur noch die Baskenmütze fehlte, um dem landläufigen Bild des Franzosen völlig zu entsprechen, zog mit der Schuhspitze einen Kreis auf den Boden und warf die Zielkugel für die nächste Aufnahme. Er legte eine Kugel nach, die das Ziel um zwei Handbreiten verfehlte. Ich ließ Zorn den Vortritt und er legte seine Kugel mit einem eleganten Schwung direkt an die Zielkugel. Von den Zaungästen auf den Baumstammbänken kam beifälliges Gemurmel.
Nun warf die Frau des Dickerchens. Sie ging dabei in die Hocke und legte ihre Kugel auf der anderen Seite der Zielkugel, etwa eine Handbreit entfernt, ab. Ihr Mann schloss an. Er schoss Zorns Kugel mit einem gezielten Wurf vom Ziel fort, wodurch die Kugel seiner Frau nun die am nächsten Gelegene war. Sie jubelte ihm zu; er zog voller Stolz den Bauch ein. Ich übernahm und legte meine Kugel zwischen die der Frau und die Zielkugel. Die Zaungäste applaudierten. Das Spiel war bald beendet, die beiden Rentner hatten keine wirkliche Chance gegen Zorn und mich. Doch meine Freude über den Sieg hielt sich in Grenzen. Ich fühlte mich in Zorns Gegenwart unfrei, gehemmt. Die Tatsache, mit ihm ein Team zu bilden, war mir beinahe körperlich unangenehm.
Während des Spiels musste man nicht groß miteinander sprechen, so hatten wir nur mit knappen Bemerkungen die Punktewertungen kommentiert oder uns verhalten angespornt. Zorn sah noch blasser und kränker aus als bei unserem letzten Zusammentreffen. Während wir uns mit Handschlag von unseren Gegnern verabschiedeten, bemerkte ich, wie seine Hände zitterten.
»Gutes Spiel.« Ich schlug ihm leicht auf die Schulter und versuchte, seinen Atem zu erschnuppern. Gleichzeitig ermahnte ich mich selbst, nicht
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