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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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zu tun hatte, sondern mit der Stellung und den Zuhörern. Alle drei Männer hatten eine Machtposition innegehabt. Alle drei hatten von Berufs wegen zu anderen Menschen gesprochen. Alle hatten für andere geplant und das Leben anderer Menschen gelenkt. Der Bürgermeister war im Gegensatz zum Pastor und Mr Coleman kein Lehrer gewesen, hatte aber großen Einfluss auf die ganze Stadt ausgeübt. Im Grunde waren alle drei Anführer gewesen.
    Damit war Pfarrer Erikson ein naheliegendes Ziel – er und alle anderen Pfarrer und Lehrer in der Stadt. Bisher war ihnen aber nichts passiert. Die Dämonin tötete nicht aufs Geratewohl. Schon die auffällige Zurschaustellung der Leichen legte den Schluss nahe, dass sie uns eine Lektion erteilen wollte. Sie hatte eine Botschaft und wollte gehört und verstanden werden. Bei den ersten Morden hatten wir es nicht begriffen, aber seitdem arbeitete sie sorgfältiger. Deshalb hatte sie die Leiche des Bürgermeisters mit Flügeln aus Plastik ausgestattet. Sie stellte sich selbst als Todesengel dar und hatte die Lektion nachdrücklich wiederholt, als sie bei Coleman die Augen entfernt hatte. Daher würde das nächste Opfer Mr Coleman ähneln. Eine Führungspersönlichkeit der Stadt mit einer schmutzigen Vergangenheit, damit es auch der Letzte begriff. Nun musste ich nur den wahrscheinlichsten Kandidaten finden und mich auf die Lauer legen, um Niemand auf frischer Tat zu ertappen. Das müsste klappen, dachte ich.
    Leider traf das nicht zu.
    Pfarrer Erikson hatte mich völlig durchschaut und alle sorgfältig ausgedachten Lügen hinweggefegt, mit denen ich die Wahrheit vor mir selbst verbergen wollte. Ich war ein Killer, nicht anders als alle anderen. Andererseits konnte ich nicht einfach aufhören. Es war schlicht und ergreifend nicht möglich, mich einfach umzuwenden und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Wenn ich Niemand nicht aufhielt, dann würde sie weiter töten, und dafür hätte dann ich geradezustehen. Für den Tod Unschuldiger wollte ich jedoch nicht die Verantwortung übernehmen.
    Wenn ich herausfand, wer das nächste Opfer war, und Niemand aufhielt, bevor sie ihres Opfers habhaft wurde, konnte ich sogar Menschenleben retten – aber nur, falls alles glatt lief. Leider war nichts vollkommen. Wenn mir jedoch eine Möglichkeit einfiel, rechtzeitig die Polizei einzuschalten, konnten die Cops das Opfer beschützen. Dann müsste ich niemanden töten …
    Aber ich will töten.
    Nein, eins nach dem anderen, dachte ich. Ich finde das Opfer, sage der Polizei Bescheid und erfahre auf diese Weise, ob ich recht habe oder nicht, ohne irgendjemanden einer Gefahr auszusetzen. Beim nächsten Mal kann ich es allein durchziehen und bin dann bereit, die Dämonin zu töten.
    Wenn Niemand sich an den bisherigen Ablauf hielt, sollte der nächste Mord am späten Mittwochabend in zwei Wochen geschehen, also am zweiundzwanzigsten oder am Morgen des dreiundzwanzigsten. Das klang, als hätte ich viel Zeit, um einen bestimmten Sünder zu finden, doch so war es nicht.
    In Clayton County gab es schrecklich viele Sünder.
     
    Am folgenden Nachmittag parkte ich vor dem Haus der Jensens, stellte den Motor ab und blieb sitzen. Ich war viel zu nervös, um hineinzugehen. Marcis Vater war der einzige Polizist, den ich persönlich kannte. Wenn ich meinen Plan der Polizei vorlegen wollte, dann musste es über ihn geschehen. Wir hatten uns schon einige Male unterhalten, er wusste, wovon ich redete, und vertraute meinen Einschätzungen. Falls Marci mich aber so sehr hasste, wie ich befürchtete, oder wenn sie mich einfach nicht mehr leiden konnte, waren meine Aussichten auf ein Gespräch mit ihm gleich null.
    Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, die ich mir immer noch nicht ganz aus dem Kopf geschlagen hatte. Vielleicht war er ja selbst der Dämon. Zwar hatte ich herausgefunden, warum der Dämon tötete, doch ich wusste noch längst nicht, in welcher Gestalt er steckte. Falls Niemand Körper und Identitäten stehlen konnte, wie Crowley es getan hatte, dann kam buchstäblich jeder infrage. Aber selbst wenn Officer Jensen ein Dämon war, hatte er mich immerhin noch nicht umgebracht. Und da mir inzwischen klar war, wie vorsichtig ich sein musste, musste ich die Augen offen halten und versuchen, ihm immer einen Schritt voraus zu sein. Die einzige Möglichkeit, seinen Plan aufzudecken – sofern er überhaupt einen Plan hatte –, bestand darin, ihn so gut wie möglich im Blick zu behalten. Ich atmete tief durch und

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