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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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»Aus dem Zusammenhang gerissen, könnte dieser Vers einem Mörder als Rechtfertigung dienen.«
    »Gibt es in der Bibel noch mehr solche Sprüche?«, fragte ich. »Enthält sie sonst noch etwas?«
    »Und ob.« Erschrocken blickte mich der Priester an. »Im nächsten Vers wird das Gleiche über Hände gesagt.«
    »Au, verdammt.«
    Er stand auf und blickte ins Leere. »Dann ist da wohl was dran.«
    »Wir haben die Botschaft als solche erkannt, aber ganz falsch gedeutet«, sagte ich. »Wir dachten, es sei eine Ankündigung: Hier bin ich, und ich komme euch holen. In Wirklichkeit war es eine Lektion. Coleman ist gestorben, weil er ein Sünder war. Er hat etwas angesehen, das er nicht hätte ansehen sollen, also hat er die Augen verloren. Er wurde zum Wohl des größeren Ganzen vernichtet.«
    »Die anderen waren aber keine Sünder«, widersprach der Priester. »Warum wurden sie dann getötet?«
    »Sie haben es doch selbst gesagt. Bei Menschen gibt es keine Schwarz-Weiß-Malerei. Sie wurden getötet, weil … weil sie irgendetwas gesagt hatten, denn ihnen wurden die Zungen herausgeschnitten. Und die Hände fehlten, weil sie etwas berührt oder getan hatten.«
    Pfarrer Erikson starrte mich misstrauisch an. »Das glaubst du wirklich, nicht wahr? Du glaubst, dass diese Menschen sterben mussten, damit wir anderen gerettet werden.«
    »Ich …« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nicht ich. Der Handlanger denkt so.«
    »Aber du hast das Gleiche gesagt.«
    »Das war nur eine Übung, um Sie zum Nachdenken anzuregen. Ich verlange natürlich nicht, dass wir Menschen töten.«
    »Du hast aber gesagt, wir sollten den Handlanger töten«, widersprach er. »Das Gleiche hast du gesagt, als du kamst: Wir sollten uns nicht grämen, dass David Coleman tot sei. Du sagtest, ohne ihn seien wir besser dran und sollten uns freuen, dass er ermordet wurde.«
    »Ich …« Verwirrt hielt ich inne. »Ich bin hier der Gute. Ich versuche, einen Killer zur Strecke zu bringen.«
    »Indem du tötest«, sagte er. »Ob du Erfolg hast oder scheiterst – in der Gemeinschaft wird es so oder so einen Mörder geben.«
    Nein! »Ich bin kein Killer!«, rief ich. »Ich bin für niemanden in dieser Stadt eine Bedrohung. Ich will den Menschen doch nur helfen!«
    »Glaubst du nicht, der Handlanger behauptet das von sich ebenfalls?«
    Brüllend ging ich auf ihn los. »Sagen Sie das nicht!« Er blieb sitzen, und ich hielt nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht inne. Mühsam beruhigte ich mich wieder und kämpfte das raubtierhafte Knurren nieder, das sich in meiner Kehle bilden wollte. Einen Moment lang hielt ich seinem Blick stand, dann wandte ich mich um und ging zur Tür.
    »Was hast du vor?«, rief er mir aufgebracht hinterher.
    Die Hand schon auf dem Türgriff, blieb ich stehen. »Was haben Sie vor?«
    »Wir haben eine Abmachung«, sagte er. »Halt du dich an deinen Teil, ich erfülle den meinen.«
    Abermals wandte ich mich um und versuchte seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Er ließ mich doch nicht etwa so gehen? Vor allem achtete ich auf die Augen. Er wusste, dass ich eine Gefahr für die Menschen in meiner Umgebung darstellte. Wollte er mich wirklich nicht aufhalten?
    Er bewegte sich nicht. Ich ebenso wenig.
    »Sagtest du nicht, dein Name sei John?«
    Ich nickte.
    »Ich will dir helfen, John. Ich möchte, dass du mit meiner Freundin redest.«
    »Mit der Therapeutin.«
    »Ja.«
    Ich blickte kurz zur Tür, dann wieder zu ihm hinüber. »Wenn ich jetzt einfach gehe, haben Sie nichts als mein Wort.«
    »Wirst du Wort halten?«
    Ich dachte nach. »Nein.«
    »Dann sag mir deinen Namen.«
    »Damit Sie mich anzeigen können?«
    »Damit ich Verbindung mit dir aufnehmen und dich dieser Freundin vorstellen kann.«
    Schon der Gedanke daran machte mich nervös. Ich musste anonym bleiben. Säure sammelte sich im Magen, ich balancierte auf den Fußballen und war bereit, jederzeit wegzulaufen. Der Priester rührte sich immer noch nicht.
    Konnte ich ihm vertrauen?
    Ich starrte ihn an. »Und wenn ich Sie bedrohe?«
    »Ich bin nicht der Dämon, das weißt du ganz genau«, erwiderte er. »Du wirst mir nichts antun.«
    »Und wenn ich weglaufe?«
    »Dann werde ich meiner Bürgerpflicht nachkommen und der Polizei von dem jungen Mann erzählen, der in der Stadt eine Frau töten will.«
    Ich atmete tief durch. Töte ihn einfach!, dachte ich. Erledige ihn, wenn er nicht damit rechnet. Schleudere ihn gegen die Wand. Brich ihm über der Stuhllehne das Genick. Versteck ihn im Keller.

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