Wells, ich will dich nicht töten
wollen alle Fotos machen«, klagte ich. »Du siehst umwerfend aus.«
»Danke.«
»Ich dachte, du willst nicht, dass alle deine …« Ich machte eine unbestimmte Geste. »Du weißt schon.«
»Das Kleid habe ich schon im Sommer gekauft. Wie sollte ich da wissen, dass ich mit einem echten Gentleman ausgehe? Außerdem gab es online wirklich gute Sonderangebote.«
Ich hob die Ansteckblumen. »Die sind ja schön, aber wo soll ich sie festmachen? Außerdem wird mich dein Dad erschießen, wenn ich dir zu nahe komme.«
»Ich mach das schon.« Sie nahm die Schachtel entgegen, als wir in die Küche gingen. »Aber dann musst du dich um deinen Blumenschmuck selbst kümmern.« Sie holte eine kleine Blumenschachtel aus dem Kühlschrank und reichte sie mir. Während ihre Mom lachte und Fotos machte, befestigten wir die Blumen. Wir posierten, hielten Händchen, und ich lächelte, so gut es ging. Endlich konnten wir zum Auto fliehen, Brad legte den Gang ein, und wir fuhren los.
Das Dinner wollten wir im besten Restaurant der Stadt einnehmen. Da es das angesagteste Lokal war, wimmelte es natürlich vor Schülern in geliehenen Smokings und Seidenkleidern in allen nur denkbaren Farben. Marci hatte im Voraus geplant und einen Tisch reserviert. Wahrscheinlich zur gleichen Zeit, als sie das Kleid gekauft hatte.
Ich hatte mehrere Monate lang vegetarisch gelebt und mich sehr bemüht, ganz allgemein nicht mehr an totes Fleisch und im Besonderen nicht mehr an tote Menschen zu denken. Eines Tages hatte ich jedoch meine Aufgabe gefunden und konzentrierte mich seitdem auf das Töten von Dämonen. Danach hatte ich einige meiner Regeln lockerer fassen können und beschlossen, dass es durchaus in Ordnung war, zu besonderen Anlässen etwas Fleisch zu essen. Ich überflog die Speisekarte und bestellte ein Porterhousesteak, mein Lieblingsgericht. Brad entschied sich ebenfalls dafür, Marci und Rachel nahmen Salat.
»Dein Kleid ist traumhaft«, sagte Rachel und streckte die Hand aus, ohne Marci allerdings zu berühren. »Es ist viel schöner als der langweilige Fetzen, den ich anhabe.«
»Ich finde dein Kleid hinreißend«, beruhigte Brad sie. »Du siehst toll aus.«
»Danke.« Rachel schenkte ihm ein kleines Lächeln. »Das ist wirklich lieb.« Das Lächeln schien echt, als sie sich ihm zuwandte, doch mir fiel auf, dass irgendetwas nicht stimmte. Ein flüchtiger Ausdruck, der sofort wieder verschwand. Hatte Brad etwas Falsches gesagt?, überlegte ich. In einer Situation wie dieser konnten sogar Komplimente sich als unpassend erweisen. Ich hasste diese Benimmregeln.
»Habt ihr schon gehört, was mit dem Sheriff passiert ist?«, fragte Brad. Marci und ich wechselten einen Blick. Wir hatten noch keine Gelegenheit gehabt, darüber zu sprechen, aber ich hatte während der ganzen Woche gewisse Theorien entwickelt. Die Dämonin war aus dem üblichen Ablauf ausgebrochen und hatte ein unerwartetes Verhalten gezeigt. Das machte mir Angst, denn offenbar wusste ich nicht halb so viel, wie ich angenommen hatte, und folglich war die Situation höchst gefährlich. Ich wollte unbedingt mehr erfahren und war froh, dass Brad das Thema zur Sprache brachte.
»Lasst uns über etwas anderes reden«, schaltete sich Marci ein. Sie warf mir einen warnenden Blick zu. Seufzend lehnte ich mich zurück und hörte zu, wie sie über andere Schüler im Restaurant herzogen.
Brooke war auch da, sie saß auf der anderen Seite des Raums und trug ein hellblaues Kleid und eine dazu passende Seidenjacke. Ihr Haar war zu einem Lockengebilde aufgetürmt, und sie sah entzückend aus. Wie mir schien, saß sie neben Mike Larssen, den ich auf der Stelle leidenschaftlich hasste.
Eine Kellnerbrigade brachte unsere Bestellungen, und meine drei Tischgenossen langten ordentlich zu. Ich starrte das Essen nur an, auf einmal war mir nicht mehr wohl. Das Fleisch sah rot und saftig aus – medium, wie ich es gewollt hatte –, und aus der Mitte ragte der abgesägte Knochen hervor. Es war ein Stück der Wirbelsäule, perfekt zerlegt und so, wie es sein sollte. Trotzdem musste ich an die abgetrennten Handgelenke denken, die ich nacheinander in der Leichenhalle betrachtet hatte. Saftiges rotes Fleisch rings um einen Knochen.
Schon gut, sagte ich zu mir selbst. Iss einfach. Ich stieß mit der Gabel in das Fleisch, sah den Saft aus den Löchern austreten und hob das Messer, und auf einmal lag Mike Larsson tot und blutend auf dem Teller. Bedeutungsloses Essen, das ich kauen und hinunterschlucken
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