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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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weiteren vorhandenen Arbeiten, nach Arbeitsplänen. Für die Kunsthandwerkschule war die Verbindung zum Museum wichtig, und Irene Goodman gab gründlich Auskunft. Dennoch fragte und hörte Lucie Green nur mit halber Aufmerksamkeit, denn an der Rückwand des Raumes hing vor dunklem Samt eine Totenmaske, die sie ungewöhnlich fesselte. Sobald Irene Goodman geendet hatte, fragte Miss Green:
    »Wer hat die Maske abgenommen?«
    »Mister Monture, der Bildhauer.«
    »Interessant. Ich war schon in seinem Atelier. Leider sind seine Arbeiten zu kolossal und zu teuer für unser Museum. Aber er ist ein ausgezeichneter Künstler – nach meinem Dafürhalten.«
    »Das ist er.«
    »Sie haben laufend Verbindung mit ihm?«
    »Sporadisch.«
    »Ich habe schon an eine Sonderausstellung seiner Arbeiten gedacht. Vielleicht läßt es sich doch arrangieren.«
    »Das wäre gut.«
    »Die Totenmaske – eines Indianers?«
    »Ja.«
    »Eindrucksvoll. Völlig anders, als Indianer sonst dargestellt werden. Ein ausgeglichenes, fast zartes Gesicht – Ruhe darüber – Jugend im Tode – im Frieden – diese Arbeit fesselt mich.«
    Irene Goodman sagte dazu nichts.
    »Hat Monture die Maske von einem Toten hier abgenommen?«
    »Ja, von hier.«
    »Als Künstler muß ihn das Besondere dieses Gesichts angezogen haben. Es wirkt wie das eines Heiligen, eines Erlösten. Die Indianer kehren zu Gott zurück. Wissen Sie das?«
    Irene Goodman schaute verwundert auf ihre Besucherin. »Vielleicht erklären Sie es mir, Miss Green.«
    »Ja, natürlich. Lange Zeit vor Columbus waren die Indianer schon in Amerika, Abkommen eines frommen israelitischen Einwanderers. Ihre Söhne und Töchter fielen in der Wildnis vom Glauben ab, aber der auferstandene Christus ist auch ihnen erschienen – ja, er kam auch nach Amerika –, und Mormon, ein Indianer, hat die geheimen goldenen Tafeln vollendet und alles vorausgesagt, was kommen wird. Die Indianer werden gläubig, und sie werden gerettet.«
    »So denken Sie, Miss Green?«
    »Ich weiß es. Es ist wahr. Sie müssen einmal zu unseren Heiligtümern nach Salt Lake City kommen, Missis Goodman. Es gibt Indianer unter uns Mormonen.«
    »Sie haben einen festen Glauben, Miss Green.«
    »Den haben wir Mormonen alle. Wie oft sind wir vertrieben worden und mußten mit Frauen und Kindern durch das ganze Land wandern, unsere Karren mit der Hand schieben, bis wir in das Hochland zu der Salzwüste kamen. Dort haben wir endlich unsere Heimat gefunden, und die Salzwüste wurde der Boden unseres Reichtums. Gott gibt seinen wahren Kindern Reichtum. Der Gründer von Salt Lake City war auch der erste Indianerkommissar dieses Gebietes.«
    »War er.«
    »Ja. Damals konnte jeder Mormone viele Frauen heiraten, und die Kinder fanden alle Arbeit.«
    »Sie brauchten Arbeiter.«
    »Ja. Heute halten auch die Mormonen die Einehe. Sie müssen wirklich zu unseren Heiligtümern kommen, Missis Goodman, es werden Ihnen die Schuppen von den Augen fallen. Vielleicht kann ich Sie einmal mitnehmen.«
    »Sie – mich?«
    »Warum nicht? Wir haben die gleichen Interessen, und vielleicht werden wir eines Tages den gleichen Glauben haben. Das würde mich glücklich machen.«
    Irene Oiseda beobachtete die Missionarin unbemerkt. Sie war solchem Eifer noch nie begegnet.
    »Ja, das ist wunderbar, wie Sie für Ihren Glauben werben, Miss Green.«
    »Das hätten Sie bei mir nicht vermutet? So sind wir Mormonen. Der Glaube verwandelt uns. Aber nun sagen Sie – wissen Sie, wer dieser junge Tote gewesen ist?«
    »Ein Gärtnerssohn. Die Freude seiner Eltern. Er hatte die Gärtnerei erlernt und hatte das Baccalaureat bestanden. Warten Sie, einen Augenblick, ich zeige ihnen noch eine zweite Maske von ihm.«
    Irene holte sie aus einem andern Raum und hängte sie neben die erste. Miss Green ging einen Schritt zurück.
    »Aber das scheint fast ein andrer Mensch zu sein – so streng und scharf.«
    »Ja. Erkennen Sie das auch? Edgar Monture hat zwei Masken abgenommen. Die eine, das haben Sie herausgefunden, ist der sanfte und friedfertige Tote, so, wie der Lebende gewesen ist. Die andere, das ist – nun, die Ärzte würden sagen, das ist der tote Körper, der sich schon verändert hat. Aber ich sage mir, hier sehen wir den strengen Toten – den richtenden.«
    »Auf den Künstler, der Phantasie hat, wirkt es so.«
    »Ja. Sein Tod war ein doppelter Tod, müssen Sie wissen. Als er starb, mußte er das Böse begreifen.«
    »Wie das?«
    »Weil ihm Böses geschah. Er wollte Frieden und

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