Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Lagerstatt heran, um ihre Wange auf die Cora Magasapas zu legen.
»Ich werde Doc Eivie drängen, daß er bald selbst hierher kommt«, flüsterte sie den Kindern zu. »Wann hat Magasapa zuletzt mit euch gesprochen?«
»Gestern abend hat Wasescha sie zu uns gebracht. Magasapa war sehr lieb zu uns und freute sich.«
»Und heute?«
»Wasescha hat ihr das Frühstück bereitet. Er küßte sie und ging zur Versammlung.«
Irene Oiseda horchte auf. Die Kinder sprachen unkindlich.
»Und dann?«
»Magasapa stand auf und spielte mit uns und mit den Puppen. Dann aber war sie plötzlich sehr müde und ging wieder zu Bett. Sie fiel ins Bett und hatte Angst.«
»Und…?«
»Sie sagte, ich schlafe jetzt, dann wird mir besser, seid ganz still. Ich schlafe lange. Grüßt Wasescha. Vielleicht hatte sie noch einmal Angst. Aber dann hat sie die Augen zugemacht und ist wirklich eingeschlafen. So sanft. Wecke sie nicht.«
»Ich wecke sie nicht.«
Irene Oiseda trat an das Fenster, schaute hinüber zu den Weißen Felsen, krampfte die Hände zusammen und preßte sie auf das Herz, das heftig zu schlagen begonnen hatte. Sie atmete einige Züge mit offenem Mund.
Nur langsam gewann sie wieder Macht über sich. Kamen Eivie und Wasescha noch zur rechten Zeit? Sie ging wiederum an das Lager, berührte Magasapas Stirn, legte ihre Hand noch einmal auf die Hand der Kranken und sagte zu den Kindern, ohne zu weinen: »Wir wecken sie nicht. Ihr seid lieb. Sie wird wirklich lange schlafen, aber sie lebt und wacht wieder auf.«
Dann ging sie zurück zu Miss Green, die einige Bilder und Skizzen herausgesucht hatte.
»Ein großes Talent!« rief Lucie der Eintretenden zu. »Ein wirklich großes Talent ist Missis King, offenbar in den letzten Jahren noch sehr gereift.«
»Ja.«
Miss Green sah Irene überrascht an, denn deren Stimme klang verändert.
»Alles in Ordnung bei den Kindern?«
»Gewiß, alles in Ordnung.«
»Ich fahre weiter.« Lucie Green erhob sich. »Kommen Sie wieder mit?«
»Das ist wohl nicht nötig.«
»Nein, ich will Sie nicht weiter bemühen. Es ist sicher gut, wenn Sie bei den Kindern bleiben.«
»Ja, es ist sicher gut.«
Lucie Green verabschiedete sich sehr freundlich und gab Irene ihre Visitenkarte.
Vor dem Abfahren lief sie noch einmal ringsum, zu dem Friedhof, zu dem Platz, an dem das bereits abmontierte Haus der Mac Leans gestanden hatte, zu der Stelle, an der Philip Mac Lean gelegen haben mußte.
Sie schüttelte dabei ein paarmal den Kopf.
Schließlich stieg sie wieder in ihren Wagen, steuerte den Wiesenweg hinunter und fuhr auf der Talstraße zu der 3. Tagesschule, von dort zurück zu der Überlandstraße zwischen der Reservation und New City.
Als sie diese erreicht hatte, hielt sie an.
Der Gedanke an die verbotene Versammlung, auf der Gerechtigkeit für Joe King gefordert werden sollte, beunruhigte sie. Der Gedanke an eine Masse bewaffneter Indianer machte ihr Angst. Was ging in diesem Volk vor?
Irgend etwas hatte sich verändert; Gefahr zog herauf.
Lucie Greens Aktivität und Selbstbewußtsein aber siegten. Was für ein Ereignis! Morgen konnte sie in New City beim Drink von ihren Erlebnissen erzählen. Es ging um den berüchtigten Joe King. Ein merkwürdiges Gefühl, wenn man sein Haus, seine Kinder, seine Pferde gesehen und da gestanden hatte, wo die verhängnisvollen Schüsse gefallen waren.
Lucie Green wendete ihren Wagen und fuhr zurück in Richtung des Schwimmbades. Es war Nachmittag, ein langer, heller, heißer Sommernachmittag. Sie wunderte sich, daß die Polizeiwagen, die am Straßenrand geparkt hatten, verschwunden waren. Ungehindert gelangte sie bis in die Nähe des Versammlungsplatzes.
Sie erkannte eine riesige Menschenmenge, und als sie sich noch weiter vorwagte, unterschied sie Männer, Frauen und Kinder. Sie alle waren Indianer. Viele trugen ihre Arbeitskleidung, manche die altindianische Festtracht, wenige die Krone aus Adlerfedern. Auf einem erhöhten Punkt der Prärie stand ein Indianer von großer schlanker Gestalt. Er sprach zu den Versammelten, aber Lucie Green konnte ihn nicht verstehen, denn er bediente sich der Stammessprache.
Es war kein Polizist zu sehen. Die Versammelten verhielten sich ruhig und würdig. Lucie wagte sich noch näher heran, und endlich stand sie mit in der letzten Reihe. Niemand beachtete sie.
Es beschlich sie ein sonderbarer Gedanke, und sie horchte gespannt auf den Klang der fremden Sprache. Irgendeiner ihrer Vorfahren hatte irgendeine solche Sprache
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