Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
wie kurz und stoßweise diese Wellen in ihr gegeneinander schlugen.
Nicht lange nach dem Essen wurde die Tür leise geöffnet. Oiseda kam herein. Sie war von den Morning Stars erwartet worden, nahm still Platz und schien so wenig zum Reden aufgelegt zu sein wie Hugh. Ihre sauberen, aber im übrigen ungepflegten Haare standen nach verschiedenen Richtungen und bildeten einen rauhen Gegensatz zu dem heute weicher wirkenden schwermütigen Gesicht, das sie umrahmten. Sie holte eine kleine, mit indianischem Muster bestickte Ledertasche hervor und gab sie Yvonne.
»Als Souvenir«, sagte sie, sonderbarerweise auf englisch. »Damit du mich nicht vergißt.«
Der Ton wirkte traurig; vielleicht war Trauer doch nicht das rechte Wort für das, was aus Oisedas Wesen und Wort sprach; es war eine Art Verzicht, ein Abgeschiedensein. »Ich bin nicht standhaft«, setzte sie nach einigem Schweigen hinzu, und sie gebrauchte jetzt ihre Muttersprache. »Ich bin müde wie einer, der nach einer schweren Wanderung nicht heimgekommen ist und ganz erschöpft an einen fremden Ort gesetzt wird. Wenn ich mit den weißen Leuten spreche, wache ich manchmal auf und mache meine Zunge noch einmal zur Waffe. Aber es ist nur wie ein Hochschrecken. Alex Kte Waknwan ist tot, und sein Kind habe ich tot geboren. Jetzt sind wir vertrieben. Es ist hier nicht das gleiche wie im Tal draußen, und die Lehrlinge werden mir auseinanderflattern wie aufgescheuchte junge Vögel.«
»Wir wollen dir beistehen, Oiseda, so gut wir vermögen.« Yvonne sagte es ganz einfach, nicht eindringlich und nicht aufdringlich. »Du bist Mitglied unseres Stammesrates, auch wenn sie dich aus dem Ausschuß vertrieben haben. Halt stand.«
»Kommen die andern?« fragte Irene Oiseda.
»Einzeln. Man soll uns nicht beieinander vermuten.«
Yvonne zog die Vorhänge am Fenster sorgfältig zu.
»In unserem eigenen Land und Stamm müssen wir uns verstecken. Wozu leben wir?«
Da keiner auf Oisedas Frage antwortete, wurde das Mädchen Tatokala unruhig.
»Sprich du«, sagte Mahan zu ihr.
»Weil Indianer sein müssen. Wakantanka hat uns zu diesem Land geschaffen. Wenn wir nicht sind, ist etwas verloren.«
»Die Weißen wollen uns aber erzählen, daß auch wir nur eingewandert seien«, warf Morning Star ein.
»Wakantanka hat uns zuerst zu diesem Land gerufen.« Tatokalas Wangen fingen an zu glühen in heißem Eifer und in der Furcht, daß sie das Rechte nicht richtig auszudrücken vermöge. »Woher immer Wakantanka uns gerufen hat, über das Meer, über das Eis oder aus der Erde, wir sind die eingeborenen Kinder dieses Landes, und wir wollen unsere Mutter Erde nicht aufgeben. Wir wollen sie beschützen gegen die Aasgeier, die ihren Leib zerreißen, ihren Atem vergiften, ihr Wasser in Schmutz ersticken und uns wie Sklaven behandeln. ›Gehe du dahin‹, sprechen sie, ›sitze du dort, arbeite du das, lehre du die Kinder, daß sie den Weißen gehorchen sollen, und werde du selbst ein Watschitschun.‹ Sie wollen uns Lehrer geben und nehmen, wie es ihnen gefällt. Es ist Zeit, daß wir den neuen Kriegsruf erheben!«
»Ja«, – Mahan hatte das gesagt.
Auch Irene Oiseda hatte es gehört. Sie schaute Wasescha an, nicht deutlich, sondern wie durch Nebel. Sie fürchtete, daß sie ihn noch nicht gewonnen und schon wieder verloren habe, und nun war es wirklich Trauer, was an ihr hinaufkroch und ihr die Wärme aus den Gliedern ziehen wollte.
Die Tür öffnete sich wieder, ohne daß jemand ein Kommen gehört hätte.
Joe Inya-he-yukan King trat ein.
Er lächelte, als er Mahan bei den anderen sitzen sah, und da Morning Star beiseite rückte, konnte er sich auf die Bank neben ihn setzen. Er steckte sich eine Zigarette an. Die Gewohnheit des Rauchens, die er in harten Jahren angenommen hatte, legte er nicht mehr ab.
»Nun?« fragte er Mahan, und dieser erzählte kurz, aber doch um einiges ausführlicher als zuvor.
Die Stimmung lockerte sich in einem Lachen, das nichts von leichtfertiger Zuversicht an sich hatte; es war aber jedermann froh.
Joe zog einen Brief aus der Brusttasche und las ihn noch einmal, ehe er zu sprechen begann. Während er las, zogen sich seine Mundwinkel herunter, und er schloß die Augen zu einem Schlitz, wie ein Schütze es beim Zielen zu tun pflegt.
»Mac Lean senior«, berichtete er, »hat es sehr eilig gehabt. Er hat schon einige seiner Möbel in das hellblaue Haus gestellt und so demonstriert, daß er mein Nachbar geworden ist. Er hat mir einen Brief geschrieben! Das
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