Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
schnell in Schlaf, und auch Hugh wußte seine Nerven zu regieren.
Am folgenden Morgen brachte der Schulbus Hugh, Wakiya, Hanska und die Zwillinge pünktlich eine Viertelstunde vor Unterrichtsbeginn zum Schulhaus. Der Wagen von Rektor Snider und der von Lehrer Ball standen schon auf dem Parkplatz. Mahan begab sich sofort zum Rektoratssekretariat und wurde auch umgehend empfangen.
Snider zeigte sich allerdings noch beschäftigt, so daß Hugh zwei Minuten stehend wartete, dann schaute der Rektor auf. »Mahan, ja. Sie scheinen ein ausgezeichneter Pädagoge zu sein, auch in Erwachsenenerziehung.«
Snider pausierte. Er hatte ernsthaft und trocken gesprochen; es hätte einem Rektor nicht angestanden, vor den Ohren eines Untergebenen, eines Eingeborenen nicht nur Witze auf Kosten seiner Dezernentin zu machen, sondern sich das auch noch anmerken zu lassen.
Auch in Hughs Miene rührte sich gar nichts.
»Sie setzen Ihren Dienst bei den Beginnern fort, Mahan, ebenso die Sportspiele für die Internatsschüler. Aber Sie wohnen künftig im Haus bei Lehrer Ball. All right?«
»Yes.«
Als Mahan durch den langen Korridor ging, begegnete er erstaunlich vielen Kollegen. Eine junge Negerlehrerin, die zu ihrer Klasse eilte, grüßte ihn sehr freundlich. Miss Hay überwand ihr Erstaunen schnell genug, um ihre Gedanken nicht zu verraten. Sie fühlte solidarisierten Ärger, weil die Autorität des Rektors gemindert schien, zugleich aber war sie sehr erleichtert, denn sie hatte gefürchtet, daß man nach dem Abgang Mahans die vierzehn Sitzenbleiber wieder in ihre Klassen einreihen würde. Ron Warrior lächelte Zustimmung ohne Hinterhalt. Cargill war von Kopf bis Fuß bescheidene und etwas erschreckte Freude. Lehrer Ball schüttelte Mahan demonstrativ die Hand.
»Es geschehen noch Zeichen und Wunder, Mahan. Wie Sie das Wunder getan haben, darf Ihr Geheimnis bleiben.«
Die Augen der Kinder strahlten Triumph. Manchen stand der Mund halb offen, und die Reihen ihrer weißglänzenden Zähne wirkten wie helle Farbtupfer.
Mahan begann mit Erzählen, Wiedererzählen und dem Aufschreiben eines zweiten indianischen Märchens, der Geschichte des Steinknaben, der seine Kraft und Unverwundbarkeit mißbraucht hatte, um alle Tiere zu töten, die ihm begegneten… So weit kam er heute. Am folgenden Tag wollte er die Fortsetzung mit den Kindern besprechen. Sie blieben gespannt. Nur die Zwillinge kannten das Märchen schon, das ihnen Untschida, Tashinas Großmutter, erzählt hatte. Aber sie verrieten nichts davon.
Beim Mittagessen schaute die gesamte Schülerschaft unauffällig nach Mahan.
»Sie haben es durchgestanden, der Held des Tages zu sein«, hatte Warrior gesagt, als die beiden Erzieher zusammen beim Essenholen anstanden. »Auf Ihren weiteren Weg sind wir alle neugierig.«
Des Abends nach dem Sport zog Mahan mit seinem Koffer bei Lehrer Ball ein. Er erhielt das Schlaf- und Studierzimmer, das Ball ihm schon einmal angeboten hatte, und richtete sich ein mit seinen Zetteln und Büchern und mit einigen Büchern mehr, die er sich aus Balls Bibliothek holen durfte.
»Das nächste, was Sie sich kaufen, sind nicht Bücher, sondern ein Wagen«, schlug Ball vor.
»Wissen Sie einen für mich?«
»Ich denke, Krause würde seinen Sportwagen billig abgeben. Also nächsten Sonnabend. Ich fahre Sie hin.«
»O. k.«
Unterricht, Sport und Leben in der Freizeit verliefen in dieser Woche reibungslos. Mahan überwand eine Inspektion durch Miss Hay ohne besonderen Verlust an Nervenkraft. Seine Wunde heilte, und die gezerrten Muskeln kamen wieder in die rechte Lage. Er trug nur noch einen leichten Verband.
Am Freitag, nach den Sportspielen, meldete sich Julia Bedford, mit ihrem indianischen Namen Tatokala. Das Verhalten oder, besser gesagt, die Stimmung des Mädchens war Mahan schon seit einigen Tagen aufgefallen. Tatokala war ungleichmäßiger als sonst in ihren sportlichen Leistungen, in ihrer bald zugespitzten, bald ungewohnt schüchternen Redeweise, mit einem müden Ausdruck, wie er auf Schlafmangel folgt, und wieder einer fast hektischen Belebtheit, mit der sie sich selbst um so mehr verbergen wollte.
»Kann ich Sie sprechen, Mister Mahan?«
»Komm mit zum Haus von Lehrer Ball.«
Das Mädchen nickte und begleitete Mahan. Sie hielt den Kopf tief gesenkt. Mahan führte sie in Balls Bibliothekszimmer. »Was ist?«
Es fiel Julia schwer, den Anfang zu finden. Sie drückte die Nägel in die Hände.
»Sprich sachlich«, forderte Mahan sie auf. Er war
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