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WELTEN-NEBEL

WELTEN-NEBEL

Titel: WELTEN-NEBEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Buchmann
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Wilkas Anweisung zu warten, entzündete Ewen zunächst ein Feuer im Küchenherd und bereitete eine warme Mahlzeit zu, während Wilka sich von den Strapazen der Reise erholte, so glaubte Ewen zumindest. Als die Suppe jedoch fertig war, konnte sie Wilka im Haus nicht finden, auch im Umkreis der Hütte konnte sie sie nicht entdecken. Wohin mochte sie wohl gegangen sein, es würde bald dunkel werden. Um sich die Wartezeit zu vertreiben, begann sie, die Möbel vom Staub zu befreien.
    Alle Räume waren gesäubert, nur Wilkas Schlafzimmer hatte sie unberührt gelassen. Sie fand es unpassend, im privaten Raum ihrer Meisterin zu stöbern. Es war schon seit Stunden dunkel, doch von Wilka fehlte noch immer jede Spur. Hoffentlich war ihr nichts zugestoßen. Aber nein, schließlich lebte sie schon lange hier, sie kannte die Berge mit allen Gefahren. Außerdem hätte Ewen es gespürt, wenn sich etwas Außergewöhnliches ereignet hätte. Obgleich sie sie erst kurze Zeit kannte, war eine tiefe Verbindung zu der Bewahrerin entstanden. Bisweilen hatte sie sogar geglaubt, ihre Gefühle und Gedanken zu teilen. Natürlich wusste sie, dass dieser Eindruck trog, doch sie konnte sich dessen dennoch nicht erwehren. Im Moment schenkte ihr dies das Wissen, dass es der alten Frau gut ging, wo immer sie auch sein mochte. Als ihre Lehrerin war sie ihr schließlich keine Rechenschaft schuldig.
    Sie wärmte die Suppe auf und aß. Dann legte sie nochmals Holz nach, auf dass die Küche über Nacht nicht auskühlte, bevor sie sich zu Bett begab.
     

    Der Zauber der Höhle nahm sie stets aufs Neue gefangen, auch wenn sie seit fast siebzig Jahren in der Höhle der Weisheit aus- und einging. Zwei Jahre nach Beginn ihrer Ausbildung hatte ihre Vorgängerin sie hierher mitgenommen und seitdem war sie regelmäßig in der Grotte gewesen, die versteckt unweit ihres Hauses lag. Hier lagerte der Schatz, den die Bewahrerinnen seit Jahrtausenden hüteten, das Wissen Martuls, niedergeschrieben in Tausenden von Büchern, die die in Stein gehauenen Regale füllten, teilweise so dicht, dass die Wände nur aus Büchern zu bestehen schienen. Selbst die lange Lebensspanne der Bewahrerinnen reichte nicht aus, alle zu lesen, daher hatte eine von ihnen schon vor langer Zeit damit begonnen, sie nach Themen zu ordnen und kurze Inhaltsangaben zu verfassen. Jede ihrer Nachfolgerinnen hatte diese Arbeit fortgesetzt und so war es gelungen, die Gesamtheit der Bibliothek zu ordnen und inhaltlich zu erfassen. Seit zehn Generationen mussten nur noch neu hinzukommende Werke in den Katalog aufgenommen werden. Neben der jährlich um ein Band wachsenden Geschichtsschreibung kamen bisweilen auch neue Erkenntnisse über die Natur oder Errungenschaften der Technik hinzu. Wilka konnte sich jedoch nicht erinnern, etwas wirklich Wichtiges während ihrer Lebensspanne niedergeschrieben zu haben. In den letzten Jahrzehnten war das Leben der Bevölkerung stets gleichförmig im Takt von Saat und Ernte verlaufen, Menschen starben, Kinder wurden geboren, Ehen geschlossen. Es hatte gute Ernten gegeben und schlechte, harte Winter und milde, aber nichts, was für die Nachwelt von Bedeutung sein würde. Wilka aber war sich sicher, dass sich dies schon bald ändern würde, Ewens ausgeprägte Gabe war ein deutliches Vorzeichen.
    Neben den Büchern gab es noch etwas, das die Höhle zu einem besonderen Ort machte und das war das Gestein, aus dem ihre Decke bestand. Niemand konnte sich erklären, warum es leuchtete, aber es tat es. Der gesamte Raum war stets in ein angenehm warmes Licht getaucht, ohne das je auch nur eine einzige Lampe entzündet werden musste. Keine ihrer achtundsechzig Vorgängerinnen hatte eine Erklärung für dieses Phänomen finden können und auch Wilka hatte einsehen müssen, dass es sich wohl um eine Schöpfung der Götter handeln musste, die die Einzigartigkeit und Besonderheit dieses Ortes unterstreichen sollte.
    Ganz gefangen im Gefühl der Heimat und Geborgenheit war sie lange die Reihen der Bücher entlanggegangen und hatte jene Bücher entnommen, die Auskunft über das Gedankensehen geben konnten. Sie hatte eines nach dem anderen durchgeblättert und die vielversprechendsten beiseitegelegt, um sie mit ins Haus zu nehmen. Dabei hatte sie nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war. Es hatte nur ein kurzer Abstecher werden sollen, doch als sie aus der Höhle trat, war die Nacht schon weit fortgeschritten. Hoffentlich hatte sich Ewen nicht geängstigt. Schnell kehrte sie ins Haus

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