WELTEN-NEBEL
sie an ihre Aussage erinnert. Er hatte zuvor lange überlegt, wie er es anstellen sollte, hatte sich passende Argumente zurechtgelegt, aber es war vergeblich gewesen. Dabei wäre er selbst mit einem kurzen Ausflug in die Städte der Südküste zufrieden gewesen, zumindest vorerst. Dass er insgeheim davon träumte, das Nachbarland Cytria zu besuchen, hatte er nicht zu erwähnen gewagt. Eine Seereise würden ihm seine Eltern auf keinen Fall gestatten.
Es machte ihn wütend, dass sie ihm einerseits stets von ihren eigenen Abenteuern erzählten, ihm aber andererseits selbst die kleinsten Reisen verboten. Sicher, seine Mutter Madia war drei Jahre älter gewesen, als sie von Cytria aus nach Helwa aufbrach, doch damals war es eine Reise ins Unbekannte gewesen, denn sie und ihre Gefährten hatten nur eine Karte und die Legende von Megev als Anhaltspunkte. Die Völker Cytrias und Helwas wussten damals noch nichts voneinander. Es war also viel gefährlicher als eine Reise durch Helwa. Selbst eine Überfahrt nach Cytria war in diesen Tagen eine alltägliche Sache. Regelmäßig verkehrten Handelsschiffe zwischen den beiden Ländern.
Überhaupt hatte sich vieles geändert, seit seine Eltern damals die Regierung Helwas übernommen hatten. Nach dem Tod seines Vaters hatte Elec alles daran gesetzt, den Menschen ein gerechterer und gütigerer Herrscher zu sein. Die Menschen lebten viel freier als in den vorangegangenen Jahrhunderten. Der lange verbotene Glaube an die Götter konnte wieder frei gelebt werden. Überall im Land waren Andachtsstätten entstanden und die Angehörigen des Wüstenvolkes, die den Glauben durch mündliche Überlieferungen bewahrt hatten, reisten durch das ganze Land und berichteten den Menschen vom Wesen der Götter und ihrem Wirken. Dadurch waren sie von einer ausgestoßenen Randgruppe ins Zentrum der Gesellschaft gerückt.
Der Handel mit Cytria hatte auch die Knappheit der Lebensmittel beseitigt. Was die Menschen Helwas aufgrund der geringen Ackerflächen – nur ein Streifen an der Ost- und Südküste war wirklich fruchtbar - nicht selbst anbauen konnten, erhielten sie aus Cytria. Im Gegenzug lieferten sie vor allem Glaswaren. Überall entstanden Werkstätten, in denen unter Anleitung der Meister des Wüstenvolkes neue Glashandwerker ausgebildet wurden. Auch die anderen Handwerkskünste wurden wieder verstärkt ausgeübt.
Auf Initiative seiner Mutter Madia hatte sich in Heet eine Wissenschaftsakademie gegründet. Die klügsten Männer und Frauen Helwas arbeiteten dort. Sie fertigten Aufzeichnungen über Geschichte, Handwerk, Wissenschaft und Religion an.
Insgesamt herrschte ein Klima der Freiheit und Veränderung. Durch das Land zu reisen war so sicher wie nie. Das mussten auch seine Eltern eingestehen, doch das änderte nichts an ihrer Meinung, dass er noch zu jung wäre. Im heutigen Gespräch hatte ihm seine Mutter zugesichert, dass er seine Reise durch Helwa würde antreten können, sobald er sechzehn wäre. Doch bis dahin waren es noch fünfzehn Monde. Btol war sich nicht sicher, dass er so viel Geduld hatte, insbesondere da er im täglichen Unterricht bei seiner Mutter stets von mehr Dingen hörte, die er gerne mit eigenen Augen sehen würde. Bisweilen hatte er darüber nachgedacht, sich einfach für eine Weile aus dem Palast zu schleichen, doch das konnte er seinen Eltern nicht antun.
In seinem Innersten konnte er ihre Sorgen durchaus nachvollziehen. Er brauchte sich bloß in Erinnerung rufen, wie es war, wenn seine Mutter von ihrer Jugend erzählte. Von ihrem zehnten Lebensjahr an hatte sie vorgegeben, ein Junge zu sein, um von zu Hause fortgehen und Gelehrter werden zu können. Und als sei dieses Versteckspiel nicht genug gewesen, hatten sie die Götter auch noch mit der Aufgabe betraut, die Beziehungen zwischen ihrer Heimat Cytria und Helwa wiederherzustellen. Sie war noch keine achtzehn Jahre alt gewesen, als sie gemeinsam mit zwei anderen Frauen nach Helwa aufgebrochen war. Als sie dieses fremde Land erreicht hatten, waren die Prüfungen der Götter nicht abgerissen. Sie hatte viel Leid erleben müssen, bevor sie schlussendlich die Liebe seines Vaters erringen konnte. Wann immer sie davon erzählte, verdunkelte die Erinnerung an die Schmerzen ihre Züge. Dass diese Erfahrungen sie dazu veranlasste, ihr einziges Kind so lange wie möglich wohlbehütet in ihrer Nähe wissen zu wollen, war nachvollziehbar. Dennoch legte sie ihm damit eine Bürde auf, denn sein Naturell machte ihn rastlos. Er
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