WELTEN-NEBEL
Liebe gestehen konnten, hatten die Götter sie voneinander fortgerissen. Lange hatten sie den anderen tot geglaubt, und während Elec sein Herz gegen alle Gefühle verschlossen hatte, hatte Madia furchtbare Seelenpein durchlebt. Sie war allein gewesen in einer Oase. Immer wieder hatte sie sich selbst mit Vorwürfen gequält, dass sie Elec nicht früher enthüllt hatte, dass sie nicht der Gelehrte Mawen war, sondern in Wirklichkeit eine Frau. Sie hatte Elecs vermeintlichen Tod für eine Strafe der Götter für ihre Feigheit gehalten. Die Tage in der Wüste hatten tiefe Spuren in ihrer Seele hinterlassen. Bisweilen wachte sie des Nachts auf, schweißgebadet und voller Furcht. Erst wenn er sie dann in die Arme nahm und beruhigend auf sie einredete, konnte sie die Schrecken der Albträume abschütteln. So sehr er sich auch mühte, auch seine unendliche Liebe konnte sie nie ganz von den durchlittenen Schmerzen befreien.
Seine Liebe zu ihr war auch nach mehr als fünfzehn Jahren ungebrochen, auch wenn sie sich im Laufe der Jahre gewandelt hatte. War sie am Anfang getrieben von Leidenschaft, die an Verzweiflung grenzte, und dem Wunsch, die vorangegangene schwere Zeit zu vergessen, so war sie nun ruhiger, aber von einer Tiefe, die ihn immer wieder glücklich stimmte. Am Schönsten aber war, dass er wusste, dass Madias Liebe für ihn genauso stark war. Auch wenn sie bisweilen aufgrund der vielfältigen Verpflichtungen als Herrscherpaar wenig Zeit füreinander hatten, gab es ihm doch Kraft, eine solch wundervolle und liebende Frau an seiner Seite zu wissen.
Jahr 3636 Mond 6 Tag 30
Hort der Bewahrerin, Martul
Immer wieder war sie unverhofft Zeugin von Btols Leben geworden, doch außer seines Namens hatte nie etwas von seinen Gesprächen verstehen können. Das beschränkte ihre Möglichkeiten, mehr über ihn und sein Land zu erfahren. Auch bewegte er sich stets im engen Umkreis des großen Gebäudes, das wohl sein Heim war. Inzwischen hatte Ewen das Gefühl, dieses ebenso gut zu kennen wie ihr eigenes Haus. Doch das brachte sie nicht weiter. Anfangs hatte sie bei jeder Verbindung mit Btols Geist gehofft, dass sich diese als aufschlussreich erweisen würde, doch nachdem sie nun mehrere Dutzend Mal ganz alltägliche Situationen mit ihm geteilt hatte, schwand ihre Hoffnung und die Verbindung wurde allmählich lästig. Wenn sie gewusst hätte, wie der Kontakt zu unterbrechen war, sie hätte es getan. Denn abgesehen davon, dass die Verbindung häufig zu einer Unzeit zustande kam – oft in der Nacht oder den frühen Morgenstunden -, so strengte es sie auch an und dies war nicht nur auf den fehlenden Schlaf zurückzuführen. Manchmal brauchte sie mehrere Stunden, um sich davon zu erholen. Besonders heftig war ihre Erschöpfung immer dann, wenn sie nicht nur bloße Sinneseindrücke, sondern Gefühle auffing. Noch war sie nicht sicher, warum dies nur gelegentlich der Fall war, doch sie vermutete, dass sie nur besonders starke Emotionen zu spüren vermochte. Möglicherweise lag es an der großen räumlichen Distanz.
Bisher hatte sie noch keine Gefühle wie Zuneigung oder Freude bei Btol verspürt, aber oft Wut, Ärger oder Unzufriedenheit. Diese negativen Gefühle hatten eine Abneigung gegen ihn wachsen lassen. Auch die Art, wie er sich verhielt, war nicht dazu angetan, Sympathien zu wecken. Zwar konnte sie seine Worte nicht verstehen, derer Ton aber entging ihr nicht. Häufig war er herrisch oder ungeduldig, teils herablassend oder spöttisch. Nur wenn Btol mit seinen Eltern sprach, lagen Respekt und manchmal auch Zuneigung in seiner Stimme.
Zeit mit diesem ihr unsympathischen Jungen zu verbringen, ermüdete Ewen von Mal zu Mal mehr, zumal sie keinen Sinn darin sah. Was bezweckten die Götter damit, dass sie ihn schon sechs Monde lang erdulden musste?
Die zufällig auftretenden Kontakte mit Btol waren das einzig Unbeständige in ihrem Leben. Alles andere ging den vorhergesehenen Gang; auf den Winter war der Frühling gefolgt, der dann dem Sommer gewichen war. Sie hatte die Bücher studiert und Abschriften angefertigt, das Haus und die Höhle in Ordnung gehalten und auch sonst alles so getan, wie Wilka es sie gelehrt hatte. In den nächsten zwei Monden erwartete sie die Abgesandten der Dörfer, die ihr die Chroniken des vorangegangenen Jahres überbringen würden.
Sie hätte ein ruhiges und beständiges Leben führen, sogar glücklich sein können. Selbst an die Einsamkeit hatte sie sich gewöhnt. Doch die wiederkehrenden
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