WELTEN-NEBEL
Ausflüge in Btols Geist und die Frage nach deren Sinn ließen sie nicht los. Es war ein Rätsel, das beharrlich auf seine Lösung drängte, sich andererseits aber standhaft dagegen wehrte. Wenn die Götter ihr doch nur ein Zeichen gäben.
Jahr 3636 Mond 7 Tag 1
Heet, Helwa
Sie ließ sich im Schatten des Daro-Baumes nieder. Immer wenn sie nachdenken wollte, suchte Madia diesen Ort im Palastgarten auf. Sie fühlte sich diesem Ort tief verbunden. Hier war sie zum ersten Mal auf Elec getroffen und kaum sieben Monde später hatten sie sich hier zum ersten Mal geliebt. Seit jener Nacht lag für sie ein Zauber auf diesem Ort. Die guten Erinnerungen halfen ihr dabei, auch schwierige Entscheidungen zu treffen. Schon unzählige Male hatte sie hier gesessen und Probleme durchdacht, egal ob es um die Regierung Helwas oder private Dinge ging. Immer hatte sie hier die Ruhe gefunden, um die richtige Entscheidung zu treffen.
Auch heute würde ihr dies hoffentlich gelingen. Wie schon so oft hatte Btol auf sie eingeredet, um ihr die Erlaubnis für eine Reise durch Helwa abzuringen. Ihr Sohn war nun schon fünfzehn Jahre alt und reifte unverkennbar zu einem jungen Mann heran. Selbst sie konnte sich nicht länger einreden, dass er noch ein Kind war, das es zu beschützen galt. Früher oder später musste sie ihn ziehen lassen. Und vielleicht hatte Btol recht, eine Reise durch seine Heimat barg nur wenige Gefahren. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie ihn ohne Angst ziehen lassen konnte, doch ihr Mutterherz tat sich schwer damit, diese Erkenntnis zu akzeptieren. Zu groß war ihre Sorge, ihr einziges Kind zu verlieren.
Doch so sehr sie versuchte, die Augen davor zu verschließen, so musste sie sich doch eingestehen, dass sie ihren Sohn durch ihr Verhalten von sich wegtrieb. Erst heute hatte sie gemerkt, wie nah sie daran war, seinen Respekt und seine Liebe zu verlieren. Im Streit hatte Btol ihr Egoismus vorgeworfen. Sie hatte die Wut in seinen Augen gesehen. Ihr Sohn drohte ihr zu entgleiten, nicht trotz, sondern vielmehr wegen ihrer steten Bemühungen, ihn in ihrer Obhut zu halten. Sie würde ihn gehen lassen müssen und das bald.
Es wäre sicher gut für seine Entwicklung, wenn er mehr von der Welt sah als Heet und den Palast. Sie selbst war an einem Punkt angelangt, wo elterliche Erziehung und Fürsorge an ihre Grenzen stieß. Obgleich sie und auch Elec sich alle Mühe gaben, Btol zu einem anständigen Menschen zu erziehen, so hatte sie in letzter Zeit doch feststellen müssen, dass sein Verhalten, vielleicht sogar sein Wesen sich verändert hatte, und das nicht zum Guten. Möglicherweise lag es daran, dass er sich eingesperrt fühlte. Obschon weder sie noch sein Vater ihm ein solches Benehmen vorlebten, schien er sich aufgrund seiner Stellung als Prinz für etwas Besseres zu halten. Schon häufiger hatte sie beobachten können, wie er Angestellte, aber auch hohe Beamte herablassend behandelte. Anfangs hatte sie ihn deshalb noch gerügt, doch sie drang nicht zu ihm durch. Daher hatte sie es aufgegeben. Doch wann immer sie Zeugin einer solchen Situation wurde, schmerzte es sie. Vielleicht würde ihm eine Reise durch Helwa auch dabei helfen, diese herrschaftliche Attitüde abzulegen. Also war es entschieden: Btol würde Helwa erkunden dürfen.
Am Abend würde sie ihm ihre Entscheidung mitteilen, sich aber gleichzeitig noch zwei Monde Zeit für die Vorbereitungen ausbitten. Da das Klima Helwas ganzjährig mild war - Schnee gab es nur in den Bergen - stellte es kein Problem dar, wenn er erst kurz vor Beginn des Herbstes aufbrach.
In Gedanken stellten sie bereits eine Reisegesellschaft aus vertrauenswürdigen Personen zusammen. Ihre Gedanken wurde durch das Geräusch raschelnder Kleider unterbrochen. Sie brauchte die Augen nicht zu öffnen, um zu wissen, wer sich ihr genähert hatte, niemand außer ihrem Mann Elec würde es wagen, sie an diesem Ort zu stören. Er drückt ihr einen Kuss auf die Stirn und sie öffnete die Augen. Das grelle Sonnenlicht ließ sie blinzeln. Es war Abend geworden und die Sonne stand so tief, dass sie ihr direkt ins Gesicht schien. Sie hatte länger hier verweilt, als es ihr bewusst gewesen war.
Elec hatte neben ihr Platz genommen und ihre Hände in die seinen geschlossen. Er schien zu wissen, was sie bewegte, denn er stellte keine Fragen. Es tat gut, dass sie einander ohne Worte verstanden. Sie lehnte sich an ihn und für einen Moment waren alle Sorgen vergessen.
Jahr 3636 Mond 9 Tag 3
Hort der
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