WELTEN-NEBEL
Zurückweisung hatte ihn flüchten lassen, der inneren Flucht hinter eine undurchdringliche Fassade der Stärke war die äußere Flucht gefolgt, das Verlassen seiner Heimat. Ihel glaubte nicht, dass ihm selbst dieser Umstand bewusst war, daher hatte sie auch nicht gewagt, ihm ihr Mitleid entgegenzubringen. Er hätte es wohl zurückgewiesen, vielleicht hätte es ihn auch beleidigt. Doch wann immer sie sich fortan über sein allzu schroffes Verhalten ärgerte, rief sie sich ins Gedächtnis, dass es nicht nur seine Schuld war, sondern er lediglich unter den Gegebenheiten seiner Kindheit zu leiden hatte. Im Grunde war es nichts anders als bei ihr, beide waren sie auf der Suche, sie nach ihrem Vater und er nach seinem wahren Selbst, dass er aus Selbstschutz abgelegt hatte. Ihre Aufgabe dünkte sie die einfachere, denn sie wusste wenigstens, dass sie sie zu bewältigen hatte. Sie hatte die ersten Schritte schon getan, er aber musste seine Aufgabe noch erkennen und annehmen. Ob sie ihm dabei wohl würde helfen können?
Seit er nur noch Ihels Führung vertrauen musste, war das Reisen ein viel angenehmeres. Er musste sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob sie auf dem richtigen Weg waren. Obwohl es ihm anfangs schon schwergefallen war, sich auf die Führung der Götter zu verlassen. Doch wenn Ihel es konnte und davon überzeugt war, warum sollte er es dann nicht auch tun. Und wenn es missglückte, so war es wenigstens nicht seine Schuld. Andererseits war es so auch nicht sein Verdienst, wenn sie die Lichtung erreichten.
Früher hätte ihn dieser Umstand geärgert, doch seltsamerweise tat er es nun nicht. Es lag wohl daran, dass er Ihel sowieso schon gestattet hatte, hinter seine Maske des starken, allwissenden Mannes zu schauen. Sie war ihm schon näher gekommen als jeder andere Mensch. Damals, als er ihr sagte, dass er den Weg nicht kannte und ihr damit den ersten Blick hinter seine Fassade gestattete, hatte er für einen kurzen Moment Furcht verspürt. Diese aber war geschwunden, als ihm nicht Spott oder Geringschätzung entgegenschlugen, sondern Freundlichkeit und Vertrauen. Von da an war es ihm zunehmend leicht gefallen, etwas von sich preiszugeben, mit dem Ergebnis, dass Ihel seine Lebensgeschichte kannte, eingeschlossen einiger Verletzungen, die seine Seele in deren Verlauf erfahren hatte. Freilich wusste sie nicht alles, es gab Dinge, über die sprach man nicht.
Sie war stehen geblieben und er hätte sie beinahe umgerannt. Erst war er verwirrt, dann aber erkannte er, was sie hatte stoppen lassen. Sie gingen nicht länger unter den kahlen Ästen der uralten Bäume. Über ihnen erstreckte sich der graue Himmel, an dem schwere Wolken hingen, seiner Einschätzung nach Schneewolken. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen am Boden, schaute sich um. Sie befanden sich auf einer Lichtung, in deren Mitte ein schwarzer Würfel stand, ebenso wie der Heilige Würfel auf einer seiner Ecken. Sie hatten ihr Ziel erreicht.
Ihels Stimme erklang: „Es sieht ganz so aus wie in meiner Vision.“
„ Wollt Ihr ihn nicht von Nahem betrachten?“
Er spürte ihr Zögern. Es war verständlich. Sie hatte so große Hoffnungen und die Erfüllung selbiger lag ebenso nahe wie die Enttäuschung. Andererseits machte es wenig Sinn, das Unvermeidliche herauszuschieben. Er nahm ihre Hand, hielt sie ganz fest, und schritt auf den Würfel zu. Ihr anfängliches Widerstreben ließ nach. Einen Schritt vor dem Würfel blieb er stehen, lockerte seinen Griff. Sie aber hielt seine Hand weiter fest, ganz so, als brauche sie Halt. Er war bereit, ihn ihr zu geben.
Aufregung, aber auch Furcht, Hoffnung und Angst vor Enttäuschung gleichermaßen, all dies und noch mehr empfand sie, während sie an Waylens Seite auf den schwarzen Würfel zuschritt. Was würde sie erwarten? Gab es überhaupt etwas für sie zu entdecken. Sie rief sich in Erinnerung, was sie über den Würfel wusste. Nach den Beschreibungen, die sie im Regierungsarchiv gelesen hatte, zeigte eine Seite eine Karte Cytrias, die darunter liegende Helwa. Alle anderen Seiten waren leer. Sie hatte also eine genaue Vorstellung von dem, was sie erwartete.
Und wirklich, sie fand die zwei Karten, ganz so, wie sie beschrieben worden waren. Aber das war nicht alles, die übrigen Würfelseiten waren mitnichten leer. Anstelle von glattem Stein fand sie weitere kartografische Abbildungen. Rechts an die Karte Helwas schloss sich ein Feld mit einer Abbildung Atress an und
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