WELTEN-NEBEL
Schmerz war umso größer, da er nicht nur einer Zukunft ohne Elec entgegensah, sondern auch auf eine Vergangenheit voller verpasster Chancen zurückblicken musste. Warum hatte er ihm nicht viel früher gesagt, wie er empfand? Wieso musste er seine wahre Identität so lange verbergen? Vielleicht wäre alles anderes gekommen, wenn er sein Geheimnis gelüftet hätte. War dies die Strafe der Götter dafür? Er hatte sich selbst für einen Gelehrten gehalten und doch war er so dumm gewesen. Er hatte es nicht besser verdient. Den Rest seines Lebens würde er Buße tun dafür, dass seine Ignoranz Elec das Leben gekostet hatte. Der erste Schritt dazu war, seine Selbsttäuschung zu beenden. Ab heute würde er nie wieder Mawen sein, sondern Madia.
Sie legte ihre Kleider ab und entfernte auch den Streifen Stoff, den sie stets über ihre Brüste gewickelt hatte, um sie flach zu drücken. Sie ließ ihren Blick ihren Körper hinabgleiten, so als sähe sie ihn zum ersten Mal. Noch nie hatte sie sich auf diese Art betrachtet. Selbst wenn sie allein gewesen war, hatte sie es stets vermieden, sich allzu sehr mit ihrem weiblichen Körper zu befassen. Dies hatte es ihr leichter gemacht, Mawen zu sein. Wenn sie sich selbst nicht als Frau wahrnahm, konnte sie auch andere besser täuschen. Von nun ab aber würde sie Madia sein, mit allem, was dazugehörte. Sie stieg in den See, um ihren Körper zu reinigen. Auch ihre Kleider spülte sie aus, so gut es ging und legte sie in die Sonne, auf dass sie trockneten. Nackt, wie sie war, begann sie, die Oase gründlich zu erkunden. Schnell fand sie einige Grassorten, deren Körner essbar waren. Auch einige der Bäume und Sträucher trugen Früchte. Vorerst würde sie also nicht verhungern. Sie aß einige Früchte und begann dann, eine geeignete Stelle für ein Nachtlager zu suchen. Sie entschied, dass die Mauern des Tempels wohl den besten Schutz vor Wind bieten würden, daher begann sie, Laub in einer der Ecken anzuhäufen. Die Nächte in der Wüste konnten kalt sein und das Laub würde ihr wenigstens etwas helfen, sich warmzuhalten. Ihre Kleidung war getrocknet und sie zog zumindest das Hemd wieder an. Die Hose und diverse Tücher, die sie auf der Wanderung gegen den Sand hatten schützen sollen, stapelt sie neben ihrem Nachtlager. Nun, da sie alles Nötige getan hatte, versank sie wieder in Grübeleien und Selbstvorwürfen. Als es dunkel wurde, legte sie sich nieder und betrachtete den Sternenhimmel. Sie versuchte, jedwede Gedanken zu verdrängen, um Schlaf zu finden.
Jahr 3620 Mond 4 Tag 13
Zentralwüste
Nur mühsam gelang es ihm, die Augen zu öffnen. Was war geschehen? Jemand beugte sich über ihn. Das Gesicht kam ihm wage bekannt vor, doch ihm wollte nicht einfallen, wie der Mann hieß, der ihn so besorgt ansah.
„ Elec, wie geht es Euch?“, fragte der Unbekannte.
Er wollte ihm antworten, doch er brachte keinen Laut über die Lippen. Sein Mund, sein Hals, selbst seine Lungen schmerzten von dem Versuch. Er musste husten. Der Mann half ihm, sich aufzurichten, dann führt er einen Trinkschlauch an Elecs Lippen. Gierig trank er. Das Wasser tat ihm gut. Der Name seines Gegenübers fiel ihm wieder ein. Es war Kahal, jener Wüstenmensch, der Mawen und ihn begleitet hatte. Wo war Mawen? Es gelang ihm, Kahal danach zu fragen. Das Gesicht des Angesprochenen verdüsterte sich, dann schüttelte er den Kopf. „Was ist das Letzte, woran Ihr Euch erinnert?“, fragte Kahal. Angestrengt dachte er nach, doch dann brachen die Bilder mit aller Macht über ihn herein. Der Sandsturm, Mawens Liebesgeständnis, der Augenblick, als ihm Mawens Hand entglitt. „Kahal, wir müssen ihn suchen. Er muss noch ganz in der Nähe sein.“
„ Es tut mir leid. Es sind drei Tage vergangen, seit ich Euch fand. Ich habe die Umgebung gründlich abgesucht. Es hat keinen Zweck. Euer Freund lebt nicht mehr.“
„ Nein. Das kann nicht sein. Ich muss ihn finden.“ Er versuchte auszustehen, doch seine Beine gaben nach.
„ Ihr müsst Euch schonen, Ihr wart drei Tage bewusstlos. Ihr könnt nichts mehr für Mawen tun.“
Die Worte trafen ihn wie ein Faustschlag. Es gab keinen Grund, an den Worten des Wüstenmenschen zu zweifeln. Kraftlos ließ er sich auf den Rücken fallen. Warum war er nicht auch gestorben? Er hatte alles verloren. Er hatte den Menschen verloren, der ihm alles bedeutet hatte. Nicht einmal die Gelegenheit, Mawen seine Liebe zu offenbaren, hatten die Götter ihm gelassen. Er war gestorben, ohne
Weitere Kostenlose Bücher