WELTEN-NEBEL
„Gestern Abend habe ich gebetet. Die Götter haben mir Bilder gesandt, doch ich vermochte nicht, sie zu deuten. Ich wollte mit Euch darüber sprechen, aber Ihr habt schon geschlafen.“
„ Warum habt Ihr mich nicht geweckt?“
„ Ich wollte Euch nicht den Schlaf rauben.“
„ Dann erzählt mir jetzt davon. Und versprecht mir, dass Ihr Euch in Zukunft nicht mehr scheut, Eure Gedanken sofort mit mir zu teilen.“
„ Danke. Ich habe meinen Geist den Göttern geöffnet und meine Unsicherheit bezüglich unserer Aufgabe offengelegt. Sie sandten mir Bilder und Worte. Aus dem Gewirr der Wörter habe ich nur meinen Namen und ein anderes Wort heraushören können.“
„ Welches?“
„Madia. Wisst Ihr, was das zu bedeuten soll? Ist es vielleicht ein cytrianisches Wort?“
Der Satz 'Es ist mein Name' lag ihm schon auf der Zunge, doch im letzten Moment schluckte er ihn herunter und zuckte mit den Achseln. Dabei wäre es die Gelegenheit gewesen, sein Geheimnis zu offenbaren. Doch je länger er es für sich behalten hatte, umso größer war seine Angst vor Elecs Reaktion. Daher wagte er es auch nun nicht. Um Elecs Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, fragte er nach den Bildern. Der Prinz beschrieb, was er gesehen hatte, doch bevor sie sich über mögliche Deutungen austauschen konnten, öffnete Kahal den Zelteingang. Es war Zeit, aufzubrechen.
Jahr 3620 Mond 4 Tag 7
Rand der Zentralwüste
Es war gewaltig. Mawen hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. So weit er schauen konnte nichts als Sand und Steine. Sieben Tage waren sie vom Lager des Wüstenvolkes durch die Steppe nach Ostsüdost gezogen, bis sie den Rand der Zentralwüste erreicht hatten.
Obwohl es erst Nachmittag war, entschied Kahal, ein Lager aufzuschlagen. Sie versorgten das Rata, welches ihnen als Packtier diente, und nahmen eine kleine Mahlzeit zu sich.
Elec wandte sich an Kahal: „Wir werden also in die Wüste gehen?“
„ Ja, denn dort wird sich eure Bestimmung erfüllen.“
„ Könnt Ihr uns mehr darüber sagen? Was ist in der Wüste? Wohin gehen wir?“, fragte Mawen wieder besseren Wissens. Wenn ihnen der Stammesälteste keine Auskunft geben konnte oder wollte, so würde Kahal dies auch nicht tun.
„ Die Wüste ist ein Ort voller Geheimnisse und voller Kraft. In ihr liegt die Vergangenheit des Landes, in euch die Zukunft.“
Das war mehr, als er zu erfahren erwartet, aber weniger, als er erhofft hatte. Doch wenigstens schien Kahal zu wissen, wohin sie gehen mussten.
Kahal hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, dicht neben dem Rata zu schlafen, während Elec und Mawen die Nacht an der erkaltenden Feuerstelle verbrachten. Als Kahal sich zurückgezogen hatte, rückte Elec noch etwas dichter an Mawen heran. Er wollte mit ihm über Kahals rätselhafte Antwort vom Nachmittag sprechen. „Mawen, was denkt Ihr über das, was Kahal gesagt hat?“
„Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, bin aber zu keinem Ergebnis gekommen. Wahrscheinlich bleibt uns nichts anderes übrig, als Kahal zu folgen und auf ein Zeichen der Götter zu warten. Zumindest müssen wir uns durch Kahals Führung keine Gedanken darüber machen, wohin wir gehen sollen.“
„Ja, die Wüste ist wohl der richtige Ort. Schließlich war sie das erste Bild, das die Götter mir zeigten. Wenn Kahal sagt, sie sei voller Kraft, so vertraue ich ihm. Wie sich in den letzten Tagen gezeigt hat, weiß das Wüstenvolk vieles über das Wirken des Göttlichen. Ihr habt mir doch vom Uralt-Wald und den Linien der Macht erzählt. Vielleicht ist es Kahal möglich, etwas Ähnliches zu spüren. Möglicherweise gibt es einen solch besonderen Ort auch in der Wüste.“
„ Wir werden es hoffentlich bald erfahren. Ich finde es beängstigend, nicht zu wissen, was von mir erwartet wird. Als ich aus Cytria aufbrach, dachte ich, unsere Aufgabe bestände nur darin, den Welten-Nebel zu durchqueren. Dass wir hier auf Ablehnung durch den König stoßen würden, damit haben wir nicht gerechnet. Habe ich Euch eigentlich schon dafür gedankt, dass Ihr Zada und Darija die Flucht ermöglicht habt? Nein, oder?“
„Ihr braucht mir nicht zu danken. Ich habe nur getan, was selbstverständlich ist. Ihr seid derjenige, der Dank verdient. Es ist Euer Verdienst, dass ich mein Land richtig kennengelernt habe. Ihr habt mir die Augen geöffnet, auch was meinen Vater betrifft. Auch muss ich Euch dafür danken, dass Ihr geblieben seid. Ich glaube nicht, dass ich alleine in der Lage wäre, die
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