WELTEN-NEBEL
die Gewissheit, dass seine Gefühle erwidert wurden. Das war nicht gerecht. Warum lebte er, während Mawen hatte sterben müssen? Der Gelehrte hatte sich ganz in den Dienst der göttlichen Mission gestellt, etwa nur um, kurz bevor er sein Ziel erreichen konnte, sein Leben zu verlieren? Wie konnten die Götter das zulassen? Wut stieg in ihm auf, so siedend heiß und übermächtig, dass kein Platz war für Gefühle wie Trauer und Schmerz. Doch der brodelnde Zorn wurde ihm zu Quelle der Kraft. Er schaffte es aufzustehen. Dann lief er los, in die Richtung, die er für Osten hielt. Kahal holte ihn ein und fragte: „Was habt Ihr vor?“
„ Ich gehe nach Heet. Dies ist der Ort, wo die Entscheidung über Helwas Zukunft fallen wird, nicht in dieser Wüste. Ich werde hier nicht sterben, nur weil die Götter dies aus einer Laune heraus entscheiden. Ich werde nach Heet gehen und meinen Thron einfordern. Danach werde ich nach Cytria reisen. Mawen wird nicht umsonst gestorben sein. Helwa und Cytria werden wieder zusammenfinden, so wie er es sich gewünscht hätte. Mögen die Götter mit mir oder gegen mich sein, ich werde bis zu meinem letzten Atemzug dafür kämpfen.“
„ Elec, ich glaube nicht, dass Ihr im Moment vernünftige Entscheidungen fällen könnt. Ihr seid ja völlig außer Euch.“
„ Ich habe auch allen Grund dazu.“
„ Dennoch wäre es besser, Ihr würdet Euch beruhigen. Ihr werdet nicht weit kommen, wenn Ihr nicht vorher etwas esst und trinkt und Euch ausruht. Außerdem lauft Ihr in die falsche Richtung. Das ist Norden und nicht Osten.“
Die Tatsache, dass er in seiner Raserei die Himmelrichtung falsch bestimmt hatte, ließ ihn innehalten. Kahal hatte recht. In seiner jetzigen Verfassung würde er es nicht bis Heet schaffen. Er dreht um und folgte ihm zurück zum Lagerplatz.
Jahr 3620 Mond 4 Tag 16
Zentralwüste
Seine Wut war verklungen und hatte Verzweiflung Platz gemacht. Trotzdem Kahal noch immer bei ihm war, fühlte er sich so einsam wie nie zuvor in seinem Leben. In den letzten Monden hatte sich Mawen unbemerkt zu einem unverzichtbaren Teil seines Lebens, ja gar seiner selbst, entwickelt. Nun, da er von ihm gegangen war, blieb eine riesige Leere. Nichts würde diese jemals füllen können. Er wusste nicht, woher er die Kraft nehmen sollte weiterzumachen. Schon einen Fuß vor den anderen zu setzen, war fast zu viel für ihn. Dennoch folgte er Kahal, der versprochen hatte, ihn bis nach Heet zu begleiten. Wie es dann weitergehen würde, darüber wollte er nicht nachdenken.
Jahr 3620 Mond 4 Tag 27
Vor der Küste Jalehas
Darija hatte gut navigiert, denn nach zwei Monden auf See kam die Küste Jalehas in Sicht. Noch zwei oder drei Tage und sie wäre zu Hause. Sie konnte es kaum erwarten, ihre Eltern und ihre Brüder wieder in die Arme zu schließen. Sie war zwar nicht einmal neun Monde unterwegs gewesen, aber es war so viel passiert, dass es ihr wie Jahre vorkam. Aber bei aller Vorfreude konnte sie Mawen nicht vergessen. Wie erging es ihm wohl jetzt? Und wie würden seine Eltern es aufnehmen, dass er in Helwa zurückgeblieben war? Hoffentlich hatte Mawen in seinem Brief die richtigen Worte gefunden, um Peria und Jeven seine Entscheidung zu erklären.
Als sie hörte, dass sie Cytria schon bald erreichen würden, war sie aufgeregt. Wie würde man sie aufnehmen? Was würde passieren, wenn ihre Schwester in den Tempel zurückkehrte? Wo würde sie dann leben? Darüber hatte sie noch nicht mit Zada gesprochen. Sie hatten so viel über ihre Vergangenheit geredet, dass sie nur wenige Gedanken an die Zukunft verschwendet hatten. Nun aber machte sich Tira Sorgen. Würde sie sich in ihrem neuen Leben zurechtfinden?
Zada sah ihrer Schwester an, dass sie etwas beschäftigte. Sie fragte: „Was ist los, Tira?“
„ Nichts, ich habe nur nachgedacht.“
„ Du siehst aber besorgt aus.“
Sie merkte, dass Tira zögerte. Sie nahm ihre Schwester in den Arm. Das schien ihr die Sicherheit zu geben, die sie gebraucht hatte, um sich zu öffnen. „Willst du in den Tempel zurückkehren?“
„ Ich denke schon. Machst du dir etwa Sorgen, was dann mit dir ist? Wir können uns trotzdem noch ganz oft sehen und Galica und Tharet nehmen dich sicher gerne bei sich auf. Du wirst wählen können, was du lernen möchtest. Die Sprache hast du ja schon gut gelernt.“
Zada drückte ihre Schwester fest an sich. Ihr war nicht bewusst gewesen, welche Herausforderung der Neubeginn für Tira
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