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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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früher ein levantinischer Prinz und später ein Kardinal der katholischen Kirche residierte, ehe er einhundertfünfzig Jahre lang zu einem berüchtigten Bordell wurde. Inzwischen gehörte er schon lange Professore Loscelles, einem Herrn, der vom Konzern wusste und ihn unterstützte. Zunächst machte er sich nur mit seinem Geld und seinen Beziehungen für uns nützlich und profitierte umgekehrt stark von dieser Verbindung. Danach wurde er selbst Mitglied des herrschenden Zentralrats, doch dieser Aufstieg lag an jenem kalten Februarmorgen vor fast zwanzig Jahren noch vor ihm.
    Ich war als Belohnung für meine in letzter Zeit sehr dynamischen, aber keineswegs mühsamen Dienste zum Karneval in die Stadt eingeladen worden. Es waren keine anderen Weltenwechsler anwesend, aber dafür eine ganze Schar von Würdenträgern und Offiziellen des Konzerns, die mir alle mit großer Höflichkeit begegneten. Obwohl an meinen Händen schon damals reichlich Blut klebte, hatte ich mich noch nicht an die Vorstellung gewöhnt, dass Menschen, die von meiner Aufgabe innerhalb der Expédience wussten, meine Gegenwart als beunruhigend oder gar beängstigend empfinden könnten.
    Professore Loscelles ist eine eher kleine Gestalt, deren würdige Haltung im Widerspruch zu ihrer Unauffälligkeit
steht. Er gehört zu jenen, deren Statur zu wachsen scheint, wenn sie allein sind. Begegnet man ihm unter vier Augen, könnte man fast schwören, dass er von normaler Größe ist; in einer kleinen Gruppe schrumpft er im Vergleich, und in einer Menschenmenge verschwindet er völlig. Schon damals zeichnete sich seine spätere Kahlheit ab, und das dünne braune Haar klebte an seinem Schädel wie Seegras an einem Felsen bei Ebbe. Er hat eine prächtige Hakennase, vorstehende Zähne und frostig blaue Augen. Seine Frau Giacinta war deutlich größer als er, eine kalabrische Blondine von klassischer Schönheit mit einem großen, ehrlichen Gesicht und einem herzlichen Lachen. Ich wurde zu einer ganzen Reihe von Bällen erwartet, und sie brachte mir die dafür erforderlichen Tänze bei. Zum Glück lerne ich schnell und weiß mich zu bewegen.
    Der Palast verfügte über einen riesigen Saal, in dem einer der herausragenden Bälle dieses Karnevals geplant war. Dieser fand am Tag nach meiner Ankunft statt. Ich war entsprechend beeindruckt von den fantastischen Masken und Kostümen und der verschwenderischen Ausstattung des Raums: eine Hymne aus antiken, polierten Hölzern, glänzendem Marmor und extravaganten Spiegeln mit Goldrahmen, ausschließlich mit Kerzen beleuchtet, die allem einen sanften Schimmer und einen Hauch von Weihrauch verliehen. Dieser vermischte sich mit den Parfümdüften und dem Rauch von Zigaretten und Zigarren. Die Männer waren Pfauen, die Frauen wirbelnde, blendende Schönheiten in gleißenden Gewändern. Ein kleines Orchester in altmodischer Kleidung erfüllte den Saal mit Melodien. Über allem schwebten drei enorme Kandelaber aus rotem Glas - runde, abstrakte Formen wie erstarrte Wogen aus glitzerndem Blut -, reduziert auf hängende
Skulpturen ohne Leuchtkraft, in denen sich nur die Kerzenflammen spiegelten.
    Atemlos trat ich mit einem Glas Tokaier hinaus auf eine kleine Terrasse, die von einer Balustrade mit dicken, tränenförmigen Säulen umgeben war. Still beobachtete eine kleine Gruppe von Ballgästen den fallenden Schnee vor dem Licht vorüberziehender Boote und der Gebäude auf der anderen Seite des Kanals. Das Flockengestöber schälte sich oben aus der Dunkelheit, als wäre es den Laternen des Palazzo entsprungen, und versank lautlos in der öligen Schwärze des sanft bewegten Wassers.
    Früh am nächsten Morgen wanderte ich durch das kalte, alles umhüllende Weiß, und mein Atem verteilte sich in den dunklen, engen Hohlräumen vor mir, bis mich meine Schritte auf einen an diesem Tag noch unbetretenen Abschnitt des Sestiere Dorsoduro lenkten. Über die alten, verlassenen Steine spazierend, sog ich das kühle, klare Salzaroma ein und nahm das Fragre dieser Welt auf. Natürlich schmeckte es nach den gleichen Dingen wie alle anderen Welten, aber die charakteristischen Merkmale erzählten von einer verführerischen Grausamkeit und prachtvollen Käuflichkeit, von einer unendlichen Süße, hinter der sich nichts anderes verbergen konnte als Verfall und Verwesung. Hier in dieser unaufhaltsam versinkenden Stadt mit diesem Odeur glanzvoller Barbarei, das durch mein Bewusstsein waberte wie der Dunst einer Lagune, fühlte sich zwar alles

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