Welten - Roman
einem Netz zusammengebunden, an den Fingern glitzernde Ringe. Das Mädchen blickte nicht auf, als sich die Ältere näherte. Mit umschlungenen Knien saß sie auf dem Weg und starrte ins Leere. Aus wenigen Metern Entfernung erkannte Ms. Jésusdottir, dass die Kleine zitterte und geweint hatte.
»Hallo?«, sagte sie.
Schniefend schaute das Mädchen sie an, antwortete aber nicht.
Da versuchte es Ms. Jésusdottir mit Hindisch.
Der Gesichtsausdruck des Mädchens veränderte sich. Sie erhob sich aus ihrer kauernden Haltung und lächelte die Ältere an, die erst in diesem Augenblick einen Stich der Angst empfand. »Oh, Ms. Jésusdottir, ich habe schlechte Nachrichten für Sie.«
Brashley Krijk verschwand von seiner Jacht, während er gerade im östlichen Mittelmeer vor Chandax auf der Insel Girit kreuzte.
Graf Hertzloft-Beiderkern hörte, wie hinter ihm jemand die Opernloge betrat. Einer seiner zurückkehrenden Söhne wohl; sie waren beide hinausgegangen, um draußen auf dem Gang ihrer Zigarrensucht zu frönen und mit jeder jungen Dame zu flirten, die ihnen zufällig begegnete. Wer es auch war, er schlich herein, als der Koloratursopran gerade sein letztes und besonders herzzerreißendes Solo begann. Andernfalls hätte er sich vielleicht umgeschaut.
Comandante Odil Obliq, die Gefahr des Orients, wie sie einmal von einem bewundernden Gegner bezeichnet worden war, tanzte in den mondbeschienenen Ruinen von New Quezon mit ihrer neuen Geliebten, der Almirante ihres Ekranoplan-Angriffsschwadrons, zu den Klängen eines Orchesters, dessen Mitglieder mit verbundenen Augen ihr Bestes gaben, um das Heulen der Brüllorangs aus den Steintrümmern und Metallgerüsten der jüngst zerstörten Häuser zu übertönen. Über den Platz, der von aneinandergeketteten,
besiegten Royalisten freigeräumt worden war, näherte sich ein Kellner mit ihrem Champagner und Kokain.
Sie blieben stehen und lächelten beide über den fetten alten Eunuchen mit dem Tablett.
»Comandante«, schnaufte er. »Almirante.«
»Vielen Dank.« Obliq griff nach dem silberfarbenen Strohhalm. Die Nägel an den Enden ihrer langen, ebenholzfarbenen Finger waren zum Spaß in wirbelndem Tarngrün bemalt. Sie reichte den Halm an ihre Geliebte. »Nach dir.«
»Wir werden nie mehr schlafen.« Seufzend beugte sich die Almirante ein wenig über die ersten zwei Linien des Pulvers, das weiß im Mondlicht schimmerte. Sie gab den Halm an Comandante Obliq weiter, die die Gelegenheit genutzt hatte, ein wenig Champagner zu schlürfen. Plötzlich veränderte sich der Gesichtsausdruck der Almirante, und sie packte Obliqs Hand. »Da stimmt was nicht …«
Obliq erstarrte, ihre Hand ließ den silbernen Halm fallen und fuhr zum Pistolenhalfter.
In ihrem Ohrhörer knisterte es. »Comandante!«, meldete sich ihr Adjutant mit verzweifelter Stimme.
Mit einem Fauchen kippte der Eunuch das Tablett, so dass der Champagner und das restliche Kokain zu Boden stürzten und die Hand mit der Pistole zum Vorschein kam, die direkt auf die Comandante zielte. Obliq war schon nach unten getaucht und in den Armen der Almirante erschlafft, als wäre sie in Ohnmacht gefallen, doch das bedeutete nur, dass aus dem geplanten Brustschuss des Kellners ein Kopfschuss geworden war. Die Almirante starrte mit leerem Blick, als dem ersten Knall zwei weitere folgten. Erst jetzt fuhren die nächsten Wachen auf und erwiderten das Feuer.
Die auf Mrs. Mulverhill angesetzten Hinrichtungskommandos konnten keine frische Spur von ihr finden.
DER WELTENWECHSLER
Beim Erwachen stelle ich fest, dass ich Schmerzen habe und an einen Stuhl gefesselt bin. Alles in allem keine befriedigende Entwicklung der Ereignisse.
Im Zuge meiner Ausbildung wurde ich auf solche Situationen vorbereitet. Entsprechend versuche ich, mir nichts davon anmerken zu lassen, dass ich wieder bei Bewusstsein bin. Das ist zumindest die Theorie. In der Praxis war ich nie davon überzeugt, dass so etwas möglich ist. Wenn man ohnmächtig ist, ist man nicht in der Lage, den Körper zu kontrollieren, und außerdem hat man das Bewusstsein wahrscheinlich auch nicht ohne Grund verloren. Zum Beispiel wenn einem ein Gorilla in Anzug so brutal ins Gesicht geschlagen hat, dass das Nasenbein gebrochen scheint, dass man nicht richtig atmen kann, dass man heftig auf die nackte Brust geblutet hat, dass zwei Schneidezähne wackeln und dass sich die gesamte vordere Gesichtspartie geschwollen und zerschunden anfühlt.
Ich hänge auf meinem Platz so weit
Weitere Kostenlose Bücher