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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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lehnte mich zurück und legte die Hand vor die Augen. »O Mann«, hauchte ich.
    Ich redete mit dem Mann, der meine kleine Piratenkapitänin erschossen hatte. Er hieß Ingrez und hatte mir anscheinend nicht verziehen, dass ich ihn vor ungefähr einer Stunde in der Bar überwältigt hatte. Am rechten Handgelenk, wo ich ihn mit dem Degen verletzt hatte, saß ein sauberer Verband. Die Arbeiterkleidung hatte er abgelegt und trug jetzt einen schwarzen Anzug und einen grauen Rollkragenpullover. Und auch die Haltung war nicht mehr die eines Arbeiters. Er wirkte wie jemand, der Befehle gab anstatt sie zu empfangen. Außerdem musste er ein besonders geschickter Springer sein, wenn er in der Lage war, etwas so Substanzielles wie eine Pistole von einer Welt zur nächsten mitzunehmen. Das schafften nur wenige. Ich konnte es zwar auch, aber nur mit großer Mühe. Und genau diese Mühe war für den Drallstoß verantwortlich, den ich wahrgenommen hatte, unmittelbar bevor er die Frau erschoss. Er hatte ein breites, gebräuntes, offenes Gesicht mit vielen Lachfalten, in dem zugleich etwas viel Dunkleres und völlig Humorloses zu wohnen schien.

    Nachdem ich den Degen zurückgezogen und ihm auf die Beine geholfen hatte, blieb kaum Zeit für Erklärungen, denn kurz darauf brachen zwei stämmige Diener von Professore Loscelles durch die Bartür, die Hand ziemlich auffällig in der rechten Jackentasche. Offenbar waren sie auf einen Kampf aus und enttäuscht, dass sie zu spät gekommen waren und nun als Krankenpfleger die beiden Verletzten des Teams versorgen mussten. Einer von ihnen führte Ingrez und mich zu dem eine Minute entfernten Kanal, wo ihre Barkasse ohne Lichter wartete. Der Motor des Bootes schepperte laut in den engen Hohlräumen zwischen den dunklen Gebäuden. Der Fahrer hatte sich etwas wie ein Fernglas um den Kopf geschnallt. Die Barkasse brachte uns zum Palazzo Chirezzia und brauste wieder davon. Auf dem Canal Grande schaltete der Fahrer das Licht ein.
    In einem Schlafzimmer im zweiten Stock ließ man mich warten.Vor dem Fenster befand sich ein stabiles schwarzes Gitter, und die Tür war verschlossen. Kein Telefon. So trug ich noch immer mein Priesterkostüm, als ich hinunter in das Arbeitszimmer des Professore geleitet wurde.
    Ingrez räusperte sich. »Dachten Sie noch öfter, sie könnte wach sein?«
    »Kurz bevor Sie aufgetaucht sind«, antwortete ich. »Sie sagte etwas vom Reisen und dass ich außer Dienst bin.«
    »Sonst?«
    »Nein. Sie erwähnte das Wort ›Emprise‹. Und dass es so viel bedeutet wie eine gefährliche Unternehmung. Können Sie damit was anfangen?«
    »Ich kenne das Wort«, bekannte Ingrez nach minimalem Zögern. »Was fangen Sie damit an?«
    »Ich habe es noch nie gehört. Ich weiß nicht, was es heißen soll. Ist das wichtig?«

    »Keine Ahnung. Aber sie hat nicht versucht, Sie anzuwerben?«
    »Anwerben wozu?« Ich schaute ihn ratlos an.
    »Sie hat Ihnen kein Angebot gemacht?«
    »Nicht einmal das, worauf ich gehofft hatte, Mr. Ingrez.« Ich setzte ein bedauerndes Lächeln auf, aber die Mühe hätte ich mir sparen können.
    »Was wäre das für ein Angebot gewesen?«
    Ich seufzte. »Die Einladung zum Sex mit ihr.« Ich sprach betont ruhig und langsam, als müsste ich einem Idioten etwas Selbstverständliches erklären.»Verdammt nochmal.« Ich registrierte den leeren Gesichtsausdruck meines Gegenübers. »Wie haben Sie das alles erfahren? Wer war sie? Was wollte sie? Warum hat sie überhaupt Kontakt zu mir aufgenommen? Warum haben Sie versucht, sie aufzuhalten, sie zu fangen oder …?«
    Prüfend betrachtete er mich. »Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich nicht befugt, eine dieser Fragen zu beantworten.« Er bemühte sich nicht einmal, den selbstgefälligen Ton aus seiner Stimme zu verbannen.
     
    Madame d’Ortolan und ich schlenderten durch die Gräber und hohen Zypressen der von Mauern umgebenen Friedhofsinsel San Michele in der Lagune von Venedig. Am klaren blauen Himmel hingen Wolkenfetzen, die sich im Licht des späten Nachmittags blassrot verfärbten.
    »Sie heißt Mrs. Mulverhill.« Sie wandte mir den Kopf zu, als sie mir dies eröffnete.
    Mein Blick hing beharrlich auf dem Weg durch die Reihen von Marmorgräbern und dunklen Metallgitter. »Dann war sie eine meiner Lehrerinnen.« Ich bemühte mich um einen möglichst neutralen Tonfall, um meinen
inneren Aufruhr zu verbergen. Sie war es! Mein Herz schlug höher.
    »In der Tat.« Madame d’Ortolan hielt inne, um sich aus einer Vase an einer

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