Welten - Roman
Kopf auf das Strandfoto an der Wand zeigte. Plötzlich öffnete sich darin eine Tür, ganz von allein.
»Mrs. Mulverhill erwartet Sie.«
(ENSEMBLE)
Ein Mann stürmt in ein von Bücherregalen gesäumtes Zimmer. Auf einer Chaiselongue liegt ein alter Kerl unter einer jüngeren Frau. Beide wirken benommen und verwirrt. Der Eindringling zögert. Der Alte sieht aus wie die Person, die er töten soll, aber er wirkt leer wie eine Hülle. Und als er dem Mann in die Augen schaut, der gerade in sein privates Arbeitszimmer eingebrochen ist und ihn fast nackt mit seiner jungen Geliebten erwischt hat, ist dem Alten nichts
von Empörung, Scham oder Verlegenheit anzumerken. Er blinzelt den Jüngeren nur verwundert an. Die rittlings auf dem Alten sitzende Frau starrt fasziniert, aber ungerührt auf die Waffe in der Hand des Eindringlings. Dieser besinnt sich schließlich auf seinen Auftrag und schießt beiden zweimal in den Kopf.
Sie fanden die Frau vor einem Baum neben dem Bergpfad hockend. Summend formte sie kleine Blumenketten. Drei von ihnen hielten sie fest, während der vierte sie erdrosselte. Sie leistete keinen Widerstand, und sie wussten, dass etwas nicht stimmte. Es folgte eine kurze Auseinandersetzung darüber, wie viel sie ihren Auftraggebern erzählen sollten.
Die am Strand in der Nähe von Chandax angespülte Leiche lächelte noch immer, obwohl sie von gefräßiger Meeresfauna angenagt worden war. Auf dem morgenkühlen Sand kam es zu einem kleinen Menschenauflauf. Ein Mann, der sich im Hintergrund hielt, nahm den Gesichtsausdruck des Toten stirnrunzelnd zur Kenntnis. Er wusste, dass es in der vergangenen Nacht auf der Jacht zu leicht gegangen war. Er überlegte, ob er seine Vorgesetzten belügen sollte.
Die Frau, die dem Grafen einen rasiermesserscharfen Meißel zwischen zwei Rückenwirbel gebohrt hatte, meldete gewissenhaft, dass die Zielperson ein oder zwei Sekunden vor dem tödlichen Stich aufgehört hatte, mit der Arie mitzusummen, beharrte jedoch darauf, beim Betreten der Loge so leise gewesen zu sein und so sorgfältig auf verräterische Luftzüge und Schatten geachtet zu haben, dass
er unmöglich etwas von ihrer Anwesenheit bemerkt haben konnte.
Man war sich einig, dass die Almirante ziemlich ausdruckslos vor sich hin gestarrt hatte, unmittelbar bevor sie von der Kugel getroffen wurde und obwohl ihre Liebhaberin soeben brutal massakriert worden war. Bei genauerem Nachfragen räumten die Mitglieder der Einheit ein, dass die Almirante möglicherweise kurz vor ihrem Tod in eine andere Welt gewechselt war. Und auf weiteres Nachfragen wollten sie nicht ausschließen, dass die Comandante ebenfalls entronnen war.
Die auf Mrs. Mulverhill angesetzten Hinrichtungskommandos konnten noch immer keine Spur von ihr finden.
DER WELTENWECHSLER
Ich legte mehrere Chips auf ein grünes Feld, überlegte es mir anders und schob sie auf Blau. Zurückgelehnt verfolgte ich, wie die letzten Spieler unter dem erwartungsvollen, ungeduldigen Blick des Croupiers ihre Jetons platzierten. Nach der Ankündigung »Rien ne va plus!« setzte er die Scheibe in Bewegung. Glitzernd wie ein Riesenrad auf dem Jahrmarkt drehte sie sich.
Durch die wirbelnden Goldspeichen bemerkte ich eine Frau, die sich dem Tisch näherte. Die Kugel klickte und klapperte in dem vertikalen Drehgerüst des Rads und prallte von den verschwommenen Kanten ab wie eine Fliege in einer Flasche. Die Unbekannte bewegte sich mit
leichtem, federndem Schritt fast wie beim Tanz. Sie war groß und schlank, in fließendes Grau gekleidet und trug ein Hütchen mit einem grauen Schleier. Ich musste sofort an Mrs. Mulverhill denken, obwohl die Frau zu groß war und sich anders bewegte. Was natürlich überhaupt nichts zu sagen hatte. Schleier waren zwar nicht mehr in Mode, aber immer noch so verbreitet, dass sie damit nicht auffiel. Dennoch zog sie einige Blicke auf sich.
Hier in der südlichen Hemisphäre von Calbefraques war Frühling. Seit der Nacht in Venedig, in der mich die kleine Piratenkapitänin angesprochen und dafür ihr Leben gelassen hatte, waren ungefähr fünf Jahre vergangen. Anfangs zweimal und später nur noch einmal im Jahr hatten mich meine Vorgesetzten im Konzern gefragt, ob wieder ein Versuch unternommen worden war, mich für Mrs. Mulverhills paranoide Sache anzuwerben. Stets konnte ich wahrheitsgemäß antworten, dass weder sie noch jemand anders es probiert hatte.
Inzwischen war ich zu einem bewährten Agenten des Konzerns geworden,
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