Welten - Roman
war, trug sie eine Sonnenbrille.Vielleicht bildete sie sich ein, ich würde sie nicht erkennen, aber das stimmte natürlich nicht. Die anderen zwei Mädchen standen tuschelnd und kichernd zusammen und warfen ihr Blicke zu. Eine fragte, ob sie gegen eine Tür gestoßen war, und sie rannte offenbar weinend davon. Sie verpasste den Schulbus, in den die beiden anderen einstiegen.
Ihre Schultasche hatte sie stehen lassen. Ich schaute hinein und fand Lehrbücher, Bleistifte, Kugelschreiber, eine Mädchenzeitschrift und ein paar Süßigkeiten. In ihrem Bleistiftspitzer, der mit einem Behälter zum Auffangen des Abfalls ausgestattet war, klapperte etwas. Als ich ihn öffnete, entdeckte ich vier Ersatzklingen, aber nicht den kleinen Schraubenzieher, mit dem man die Klinge hätte auswechseln können. An zwei Klingen bemerkte ich etwas, was wie getrocknetes Blut aussah. Ich behielt eine und steckte alles andere wieder an seinen Platz zurück, bis auf ein Sugar Cherry, das ich aß.
Ich wartete noch auf meinen Bus, als sie zurückkehrte.
Wieder sagte ich hallo, reichte ihr ihre Schultasche und fragte, ob alles in Ordnung war. Sie murmelte etwas Undeutliches und nickte. Sie stieg in denselben Bus wie ich, suchte sich aber einen anderen Platz.
Am nächsten Tag an der Bushaltestelle hatte sie noch immer ihre dunkle Brille auf.Trotzdem entging mir nicht, dass sie mich anstarrte. Meine höflichen Gesprächsversuche beachtete sie nicht. Auch die zwei anderen Mädchen - zu denen später noch eine dritte stieß - ignorierte sie. Als der Schulbus kam, stieg sie nicht ein. Achselzuckend setzte der Fahrer seinen Weg fort. Dann traf mein Bus ein. Sie stieg mit mir ein und bat, sich neben mich setzen zu dürfen. Natürlich sagte ich ja und war froh über diese unerwartete Wendung. Ich saß am Fenster, sie auf der Gangseite.
Als der Bus fuhr, wandte sie sich zu mir und zischte: »Wo ist meine andere Klinge? Was hast du damit gemacht? Wo ist sie?«
Aus der großen Nähe konnte ich im hellen Morgenlicht erkennen, dass sie hinter den dunklen Gläsern blaue Flecken um die Augen und auf der Nasenwurzel hatte.
Eigentlich hatte ich beabsichtigt, die Klinge aus dem Spitzer zu untersuchen, vielleicht sogar mit einem alten Mikroskop, das noch irgendwo hinten in einem Schrank stand. Aber ich hatte keine Zeit dafür gefunden. Gestern war am College viel los gewesen. Ich hatte eine Prüfung vergessen, was völlig untypisch für mich war, und war in eine Schlägerei mit einem anderen Studenten verwickelt worden. Auch das war kein alltäglicher Vorfall. Die winzige Klinge war mir erst am Morgen wieder eingefallen. Auf dem Weg zum Bus hatte ich sie inspiziert, ohne etwas zu entdecken.
Instinktiv stritt ich alles ab, aber sie beharrte darauf, dass die Klinge gestern vor dem Verlassen des Hauses noch da
gewesen war. Bestimmt hatte ich in ihrer Tasche herumgewühlt, als sie sie zurückließ, und die Klinge an mich genommen. Außerdem beschuldigte sie mich, ein Sugar Cherry gestohlen zu haben. Ich erinnere mich noch, dass mich Panik erfasste, weil sie offenbar genau wusste, was passiert war. Doch dann kam eine seltsame Ruhe über mich, und ich überlegte, wie ich sie von meiner Unschuld überzeugen konnte. Schließlich fiel mir ein, was ich ihr erzählen musste: Die zwei Mädchen hatten eine Zeit lang in ihrer Tasche herumgekramt - wahrscheinlich hatte eine von ihnen die Klinge entwendet. Sie hatten im Bushäuschen eine tote Maus gefunden und sie in ihre Tasche gelegt, doch nachdem sie mit dem Bus weggefahren waren, hatte ich das Tier wieder entfernt. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich in ihre Tasche geschaut hatte, aber es war mir ehrlich nur darum gegangen, die Maus zu beseitigen. Auch das Bonbon mussten die Mädchen genommen haben; Sugar Cherrys mochte ich überhaupt nicht.
Sie runzelte die Stirn, und die dunkle Stelle über ihrer Nase zitterte. Da wusste ich, dass ich gewonnen hatte. Ich war erfüllt von Erleichterung und einem Gefühl von Triumph. Besonders stolz war ich auf die Geschichte mit der Maus.
»Es war wirklich eine von ihnen?« Sie klang immer noch misstrauisch.
Ich nickte.
»Welche?«
Ich antwortete, dass ich es nicht wusste. Ich hatte nicht gesehen, dass eins der Mädchen etwas aus ihrer Tasche genommen hatte, doch niemand sonst hatte sie berührt, daher mussten sie es gewesen sein. Damit hatte ich sie wohl endgültig überzeugt.
Danach stellte ich mich vor, und auch sie nannte mir ihren Namen. Ich wies sie darauf hin,
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