Welten - Roman
einen einsam quäkenden Schrei aus, der aus noch größerer Ferne beantwortet wurde.
Alles, was ich sah und spürte und roch, wirkte beängstigend real. Das dunkle Wasser zwischen meinen Schuhen - schwarze Slipper! Was war aus meinen Chucks geworden? - kam zur Ruhe. Mein Spiegelbild auf der blanken Oberfläche hatte keine Ähnlichkeit mit mir. Meine Hose fühlte sich gröber an und war eher dunkelbraun als schwarz. Kein Nokia, nichts in den Taschen. Auch keine
Rolex am Handgelenk. Die Hände waren ebenfalls ein wenig anders. Sie hatten Sommersprossen. Ich hatte doch keine Sommersprossen, oder? Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher. Scheiße, ich wusste nicht mal, wie mein Handrücken aussah. Ich drehte mich um und erkannte die schwarze Gestalt von Mrs. Mulverhill, die dort oben saß. Ich kletterte wieder hinauf.
»Ich bin Tandemistin«, erklärte sie, als wir nebeneinander auf den Steinen saßen. Zwischen zwei Wolkenschichten im Osten lugte hellorange die Sonne hervor. »Nur wenige Leute haben diese Gabe. Ein Tandemist kann zusammen mit einem anderen Menschen wechseln. Normalerweise nur mit einem. Die meisten Leute können gar nicht wechseln, doch selbst von den Wechslern sind nur wenige in der Lage, beim Sprung von einer Welt zur anderen etwas anderes mitzunehmen.«
»Wechseln?«
»Von einer Welt zur anderen.«
»Mmhmm. Und dafür braucht man eine Pille oder so was?«
»Es gibt eine Substanz namens Septus, die sowohl in der Pille ist, die Sie geschluckt haben, als auch hier drin.« Sie schwenkte das kleine Feuerzeugding und verstaute es irgendwo unter dem Brustkorb wieder in ihren schwarzen Bandagen.
Ich schloss die Augen und rieb mir übers Gesicht. Als ich sie wieder aufschlug, war alles wie zuvor. Grauer Himmel, wässrig schimmernder Sonnenaufgang, weite Sumpflandschaften, ferne, schwarze Ruinen. »Ist das so was wie eine andere Dimension?« Scheiße, ich hatte echt zu kämpfen. Fast hätte ich mir gewünscht, im Physikunterricht besser aufgepasst zu haben.
Das Ganze war so unglaublich bizarr, dass mich immer noch Wellen von Schwindel erfassten. Sofern das nicht die Droge war, die ich geschluckt hatte oder die mir injiziert worden war. War ich wirklich die ganze Zeit bei Bewusstsein gewesen? Wir schienen zwischen zwei Herzschlägen vom Novy Pravda hierhergelangt zu sein, nur angekündigt von der Empfindung, dass mein Kopf von innen nach außen gestülpt wurde - doch auch das war eher Teil der Erfahrung als davon losgelöst. Aber hatte es wirklich keine Gelegenheit gegeben, mich unter Drogen zu setzen und mich hierherzuverfrachten? Es fühlte sich nicht so an, trotzdem kam es mir wahrscheinlicher oder logischer vor als das, was mir Mrs. M erzählte.
Sie zuckte die Achseln. »Das ist eine von vielen Welten. Es gibt unendlich viele. Die Leute, die ich vertrete, reisen zwischen ihnen. Manchmal kann es sein, dass sie Hilfe brauchen. Das Wechseln - das Reisen zwischen den Welten - ist kein perfektionierter Prozess. Deshalb würden wir gern auf Ihre Dienste zurückgreifen. Sie sollen Reisenden helfen, die es unfreiwillig auf Ihre Welt verschlägt oder die sonst Ihre Unterstützung benötigen. Aber nur in geringem Umfang. Wären Sie dazu bereit?«
»Was machen Sie genau? Wozu überhaupt diese vielen Reisen?«
Mrs. M schnalzte mit der Zunge. »Alles ganz harmlos, doch ich darf Ihnen leider nichts darüber verraten. Allerdings kann ich Ihnen versprechen, dass Sie durch unsere Tätigkeit nicht in Konflikt mit Ihren Behörden geraten werden, in dem höchst unwahrscheinlichen Fall, dass diese etwas davon bemerken. Sie haben bestimmt schon vom Need-to-Know-Prinzip gehört.«
»Ja, eine Geheimhaltungsregel: Informationen werden
nur an die Leute weitergegeben, die sie für ihre Aufgaben brauchen.«
»Genau, und da Sie nicht Bescheid wissen müssen, ist es besser, wenn Sie nichts erfahren.« Ihr Blick schweifte kurz über die öde Landschaft, eher er wieder zu mir fand. »Allerdings ist es durchaus schon vorgekommen, dass Menschen, die mit ähnlichen Diensten angefangen haben wie Sie, sich mit der Zeit aktiver an unseren Operationen beteiligt haben und letztlich selbst zu Weltenwechslern wurden.« Wieder ein von Spitzen und Punkten verhülltes Lächeln. »Wie gesagt, es ist vorgekommen. Aber eins nach dem anderen. Also, was sagen Sie? Glauben Sie, Sie könnten unser Angebot annehmen?«
Ich starrte sie an. »Ich wollte sowieso noch darüber nachdenken. Und jetzt … ich meine … ich bin ziemlich …« War das
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