Weltenende (German Edition)
Beschlag belegten, aus dem Weg zu gehen. Jonas verständlicherweise wollte das nicht, denn er hatte keine Lust irgendjemanden, auch nicht seinem Cousin, seinen blauen Arm und seinen großflächig grün und violett angelaufenen Rücken zu erklären. Doch Carl war beharrlich wie immer, zog ihn damit auf, dass er prüde sei, und das alles solange, bis Jonas nachgab. Er hoffte nur inständig, dass sie allein sein würden. Vorerst, nach Würstchen mit Kartoffelsalat - noch ein karges Essen an diesem Tag -, wollte er zu Ludwig, offiziell, um im Hafen nach der Öljacke zu suchen.
Er war gerade am Gehen, als Barney ihn rief. „Hör zu, über Funk kam die Meldung, dass eine Seglerin ihren Mann vermisst. Kannst du bei Santers vorbeigehen und Robert in den Hafen schicken? Er muss sich darum kümmern und ich bekomme ihn nicht ans Funkgerät.“ Da war die Meldung. Obwohl Jonas sie den ganzen Morgen erwartet hatte, zog es ihm den Hals zusammen. Er fühlte sich, gleichwohl er genau wusste, wie falsch es war, schuldig für den Tod des Mannes. Er hätte nur ein paar Sekunden früher kommen müssen oder vielleicht hätte es genügt, wenn er lauter geschrien hätte oder ... nein, er hätte gleich bei den Häuschen bleiben müssen. Er hatte gewusst, dass die Höllenhunde unterwegs waren und ihm wäre es vielleicht gelungen sie zu vertreiben, wenn er nicht den Steg zum Traktor hinausgelaufen wäre.
Jonas verließ den Hof.
Robert war so eine Art Polizist oder Hilfspolizist, auch wenn er offiziell nur Beamter des Ordnungsamts war. Manche meinten, er sei ein Mädchen für alles auf Rabensruh, aber das hörte er nicht gerne. Im Gegensatz zum alten Jochen Schuster, der seit fünfundzwanzig Jahren nur darauf bedacht war, mit niemandem Ärger zu bekommen, damit er zur nächsten Amtsperiode als Bürgermeister wiedergewählt wurde, packte Robert auch unangenehme Sachen an und dafür schätzten die Leute ihn.
Der Wald war noch feucht, roch nach Moos und nasser Erde vom Regen. Vom Meer blies eine sanfte Briese durch die Bäume und ließ die Blätter rascheln. Auf halber Strecke entdeckte Jonas eine Stelle mit Sauerampfer. Fanny liebte Sauerampfer. Sie kochte ihn in Soßen oder Suppen oder gab ihn zum Salat. Er wollte sich merken, wo er sich befand. Vielleicht konnte er damit seiner Tante eine Freude machen.
Was Robert betraf , hatte er Glück, denn seine Frau kam ihm kurz hinter dem Pfarrhaus entgegen. Sie meinte, dass ihr Mann in dieser Angelegenheit bereits tätig sei – sie formulierte es genau so. Sie hielt sich und ihren Mann für eine kapitale Größe auf der Insel und ließ durch ihre geschwollene Ausdrucksweise keinen Zweifel daran aufkommen.
Jonas lief zum Pfarrhaus, fand es aber verschlossen vor, gleichfalls die Kirche und auch die Straße runter bei den Schusters, wo Ludwig häufiger zu Gast war, traf er ihn nicht an.
Also gab er es auf, ihn zu suchen, und ging in den Hafen. Die Wracks dreier Yachten lagen auf dem Strand oder in der Brandung, der Bereich ringsum war abgesperrt und Leute in Anzügen schossen Fotos, sonst war die Bucht jetzt leer. Keiner, der die Nacht überstanden hatte, war noch hier geblieben, selbst im Hafen herrschte kaum Betrieb. Wenn es nach Jonas ging, war es diesen Sommer besser, wenn sie alle wegblieben.
Hinter den sanitären Einrichtungen suchte er nach der Öljacke, aber alles was er dort fand, war der Schatten des Höllenhundes. Er traf ihn so unerwartet, dass er keuchend um seine Fassung rang. Es war wie ein Loch, dass seine Seele verschlingen wollte, dass ihm drohte das Bewusstsein aus dem Körper zu saugen und ihm eine Eiseskälte bereitete. Es war das Böse selbst, dass er berührte. Jonas schleppte sich zurück auf den Kai. Der Schatten genügte nicht, um eine Person hinüberzuziehen, doch es vermittelte beeindruckend, welche Qualen der Mann gestern Abend zu erleiden gehabt hatte.
Zitternd setzte Jonas sich auf eine Bank. Er fror erbärmlich. Er hasste das alles. Er hatte nie darum gebeten zum Licht zu gehören, aber eine Wahl hatte er nie gehabt. Lange vor der Zeremonie und lange bevor Ludwig ihn eingeweiht hatte, hatte er bemerkt, dass er nicht so war wie all die anderen. Es waren wohl die klassischen Zeichen gewesen wie mysteriöse Zufälle, Zusammentreffen mit merkwürdigen Personen und immer wieder – und das hatte Jonas sehr erschreckt – hatte er Dinge vollbracht, die er eigentlich nicht hätte können dürfen. Zum Beispiel als er elf gewesen war, hatte er
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