Weltenende (German Edition)
ein Übungsblatt zu Topologien durch, obwohl ihm die rechte Konzentration fehlte. Er hoffte, die Mathematik würde ihn beruhigen, was sie für gewöhnlich auch tat, heute jedoch nicht. Es war die Ordnung, das eindeutige richtig oder falsch ohne Grauzonen, ohne weiche Kanten, das ihm gefiel und Klarheit gab; eine Klarheit, die es in der normalen Welt nicht gab.
Beim Abendessen entschuldigte Jonas sich dafür, dass er Umstände machte, doch wirklich einrenken konnte er die Sache nicht. Mathilda und Fanny sprachen die ganze Zeit miteinander, als wäre nichts gewesen, plapperten dabei nur über sinnloses Zeug. Mathilda schien mit dem Hausarrest für die Jungs mehr als zufrieden. Sie beharrte sogar darauf, dass die Jungen ihn für eine ganze Weile bekamen und niemand widersprach, auch wenn man Barney ansah, dass es ihm missfiel, dass sie sich einmischte. Was die Erziehung Carls oder in diesem Fall seiner Jungs anging, war er zuständig und nicht seine Schwiegermutter. Carl kochte vor Wut und er ließ seinen Zorn an Jonas aus. Dass sie gerade jetzt das Zimmer teilen mussten, verbesserte die Lage keineswegs.
Am darauffolgenden Tag sollten sie wieder Holz hacken. Barney ließ sie den ganzen Tag schuften und abends waren sie so müde, dass sie nach dem Abendessen ins Bett fielen. Auch am Tag danach wiederholte sich das Spiel, zumindest bis zu den Mittagsstunden, als Ludwig auf dem Hof aufschlug. Barney kam hinzu, erklärte schroff, dass Jonas und Carl Hausarrest hätten. Für eine Stunde verschwanden die beiden Männer in der Scheune, dann verließ Ludwig den Hof, ohne mit Jonas oder Carl gesprochen zu haben, aber Barney löste umgehend den Hausarrest auf.
Carl atmete auf. „Dann gehen wir jetzt a n den Strand. Ich habe überall Blasen an den Händen“, seufzte er erleichtert.
„Überreiz es nicht , mein Sohn! Mach den Stapel da fertig!“, rief Barney und trat zu Jonas. Er beugte sich vor, bis er in Jonas Ohr flüstern konnte: „Der Pfaffe sagt, du kannst auf ihn aufpassen. Enttäusch mich nicht!“
Jonas nickte.
Am Nachmittag liefen sie zum Leuchtturm im Westen. Sie hatten sich an Marie vorbeigeschlichen, hatten Sandwichs und Obst mitgenommen und waren verschwunden ohne jemandem Bescheid zu geben. Sie suchten sich eine windgeschützte Mulde im Gras, um sich zu entspannen. Leise hörten sie die Wellen auf den Strand und die Felsen branden. „Willst du gar nicht wissen, was in dem Brief stand?“, fragte Carl, der von jetzt auf nachher wieder der alte war. Ihr Streit war vergessen.
„Sollte ich es wissen?“
„Nein, jedenfalls ist das Agnes Meinung. - Wie war sie denn?“
„Nackt und sehr viel jünger, als ich erwartet habe .“
„ Ich hatte mir eine verschrumpelte alte Hexe vorgestellt.“
„ Ich auch, aber das war sie nicht.“
„ Soll ich dir sagen, was drinsteht?“
„ Nein, lass es. Wenn Agnes meint, ich sollte es nicht wissen, dann sollten wir das respektieren. Wer weiß schon, zu was es gut ist.“ Jonas kramte in der Tasche herum. „Wir haben nichts zu trinken.“
„Das war Absicht. Ich geh zur Schw itzhütte und kaufe Bier. Hast du Geld?“
Jonas drehte sich auf die Seite. „ Das ist nur für die Gäste.“
„ Ach, ich werfe das Geld in die Dose. Das ist der Hayek doch egal, wer die Flaschen kauft.“
Jonas gab ihm Geld. „Du bist teuer diesen Sommer.“
„Wofür stehen die Zahlen?“
„Ich habe keine Ahnung. Lottozahlen sind es jedenfalls nicht.“
„Bist du sicher?“
„Na ja, 95 und 50 gibt es im Lotto nicht.“
„ Eigentlich schade.“
„Nur , dass ich jetzt weiß, dass ich die Apokalypse nicht aufhalten werde.“
„ So hat sie es nicht gesagt, oder?“, entgegnete Carl.
Jonas schüttelte den Kopf. „Genaugenommen nicht.“
Carl kaufte gleich vier Flaschen und als er zurückkam und zwei Stück mit Hilfe einer Steinkante öffnete, sagte er: „Jetzt komm ich mir richtig prollig vor.“
Jonas war es egal. Die Sache mit Barney hatte sich zwar wieder eingerenkt, doch er spürte jetzt deutlicher, dass das drohende Ende sehr viel näher gekommen war. Es würde etwas geschehen; es stand unmittelbar bevor und es war weit größer und mächtiger als alles, was Jonas bisher erlebt hatte.
Einige Zeit hingen sie ihren Gedanken nach, tr anken von dem Bier – eine reichlich bittere Sorte – und genossen die Sonne ohne ein Wort zu sprechen. Kurz vor vier liefen ein halbes Dutzend junge Leute unmittelbar an ihrem Platz vorbei in Richtung Strand, obwohl hier weit und breit
Weitere Kostenlose Bücher