Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)
genug fühlen, aufzubrechen. Der Alte tat schon bald so, als seien Tyark und Zaja immer schon dagewesen. Seine Gastfreundschaft war herzlich, auch wenn Tyark zunehmende Beklemmung über das Verhalten des Alten empfand: Nachts schlief dieser nur wenig und sehr unruhig. Oft genug schrie er auch gequält auf. Tagsüber murmelte er meist leise vor sich hin und manchmal sah Tyark auch, wie der Greis seine Hände gegen den Kopf schlug und jammerte – als höre er stetig etwas, trotz seiner tauben Ohren.
Er war erleichtert, als sie dem Alten klarmachen konnten, dass sie aufbrechen mussten. Der Alte war zunächst sichtlich traurig über ihre Entscheidung, führte sie dann aber auf sicheren Pfaden aus den Ausläufern des Hochgebirges heraus, welches erstaunlich weit hinter ihnen lag.
Die seltsame Pforte hatte sie glücklicherweise bis an den Rand der Grate gebracht, was ihnen eine wochenlange Wanderung ersparte. Dennoch hätten sie den richtigen Weg wohl niemals alleine finden können.
Sie halfen dem Alten, unterwegs einige der Knollen aufzusammeln. Es waren dunkle, dumpf nach Erde riechende Klumpen, mit denen Tyark bei bestem Willen nichts anfangen konnte. Zaja hatte über seinen Versuch gelacht, eine der Knollen zu probieren. Tyark hatte das Stück sofort wieder ausgespuckt, da es seiner Meinung nach wie totes, in Erde vergrabenes Holz schmeckte.
Zaja erklärte ihm nachsichtig, dass die Knollen gekocht werden mussten und nach aufwendiger Zubereitung dann nur noch einen Hauch – manche würden sagen, gar nichts – ihres ursprünglichen Geschmacks an sich hatten. Tyark verstand nicht, dass angeblich für eine Handvoll dieser Knollen bis zu einem Silberstück bezahlt wurde! Er hatte sich lieber zwei magere Hasen gejagt, die sie alle mit großem Genuss verspeisten, besonders der Alte schien schon seit langer Zeit kein frisches Fleisch mehr gegessen zu haben und lachte wie ein Kind, als Tyark ihm ein großes Stück eines Hasen überlies.
Das Gelände wurde bald merklich weniger steinig und die dichten Wälder des Hochgebirges wurden durch die lichteren der tieferen Ebenen abgelöst. Durch Lücken in den Baumwipfeln konnte Tyark manchmal die dunklen Silhouetten der Grate in den Himmel ragen sehen. Ihre schneebedeckten Hänge und die Wipfel, die immer in Wolkenschleiern verborgen schienen, wirkten wie drohende Zeigefinger.
Es dauerte fast vier Tage, bis sie endlich erste kümmerliche Zeichen menschlicher Besiedlung vorfanden.
Tyark wunderte sich, wie gesund und munter der Alte wirkte – trotz des beschwerlichen Abstiegs aus dem Gebirge. Vielleicht war es aber auch gerade diese grausame, unberechenbare Natur, die den Alten so lebendig hielt? Heimlich beobachtete er ihren Führer – und stets hatte er ein merkwürdiges Gefühl bei dem Alten, fast als wäre dort etwas Vertrautes an dieser Gestalt und diesem zerfurchten Gesicht. Doch obwohl er das seltsame Gefühl nicht loswurde, hätte er beim besten Willen nicht sagen können, warum er es verspürte.
Langsam tauchen kleine Felder am Horizont auf und ärmlich wirkende Gehöfte duckten sich in die hügelige Landschaft, durch die ein Fluss mäanderte. Andächtig staunend blickten Tyark und Zaja auf das erste, armselige Gehöft, welches sich in der Ferne abzeichnete. Es war das erste Zeichen menschlichen Lebens seit einer gefühlten Ewigkeit in wilder, unberührter Natur.
»Das muss der Ries sein!«, rief Zaja schließlich erleichtert, als sie am Rande der Niederung standen.
Sie zeigte mir ihrem Finger über den Horizont und erklärte: »Der Ries entspringt irgendwo in den Graten. Keiner weiß so recht wo – du kannst dir vorstellen, dass sich so manche Legende um seine Quelle rangt.«, sie zwinkerte ihm zu, »Jedenfalls vereinigt sich der Ries irgendwo in den Viehtachauen mit dem Lind , der dann an Lindburg vorbeifließt. Wir sind bald am Ziel, vielleicht noch drei oder vier Tage! Vielleicht auf fünf.«
Sie lächelte Tyark an. Als sie aufbrechen wollten, war der Alte nicht mehr bei ihnen. Verwirrt drehte sich Tyark um und sah ihn schließlich hinter ihnen am Waldrand stehen und ihnen hinterherblicken.
Erneut hatte Tyark das Gefühl, dass der Alte ihn mit großer Vertrautheit anblickte. Doch rasch flackerte der vertraute Wahnsinn in den blassen Augen auf und bevor Tyark den Gedanken weiterverfolgen konnte, hatte sich der Alte bereits abrupt umgedreht und war zwischen einer Gruppe junger Buchen verschwunden. Das dreckige Bündel hatte er dabei wie immer zärtlich in
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