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Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)

Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)

Titel: Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Sulz
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ungewohnten Enge dieser Stadt fühlte. Die enorme Anzahl von Gerüchen, Geräuschen und anderen Sinneseindrücken ließen sein Herz schneller klopfen. Er fühlte sich unwohl, obwohl er seine ganze Kindheit in einer noch viel größeren Stadt verbracht hatte.
    Zahlreiche Bettler und Dirnen säumten die Gassen des Gerberviertels, welches sie rasch durchquerten. Überall sah er große Bottiche, in denen Arbeiter rohes Leder einweichten, um es anschließend weiterzuverarbeiten. Die Luft war geschwängert vom stechenden Geruch der verrottenden Unterhäute sowie den verwendeten Gerbemitteln.
    Goswin wurde von zahlreichen Menschen herzlich gegrüßt, Tyark bekam rasch den Eindruck, dass der Bruder gerade beim einfachen Volk hohes Ansehen zu besitzen schien. Als ihnen sechs Gardisten der Stadtwache entgegenkamen, grüßten auch sie Goswin, jedoch nicht, ohne Tyark dabei misstrauisch zu beäugen, denn immerhin stammte er unverkennbar aus dem Süden Teannas. Die meisten Menschen hier waren etwas kleiner als er, ihre Augen waren auch seltener braun. Auch schien es eher unüblich für Männer zu sein, ihre Haare lang zu tragen.
    Goswin unterbrach ihn bei seinen Beobachtungen: »Vor den Stadtgardisten musst du dich in Acht nehmen. Seit den Spannungen zwischen dem Fürsten und der Markgräfin sind sie alle auf der Suche nach Spionen.«, er schnaufte empört, »Als ob die sich unter den heruntergekommenen Flüchtlingen verstecken würden. Bestechung und allgemeiner Verfall der Sitten machen sich mancherorts breit, gerade unter den jungen Männern der Stadtwache. So mancher Flüchtling hat mir bereits schlimme Geschichte erzählt – ihr selbst habt ja am Stadttor bereits etwas von diesen unmöglichen Verhaltensweisen erleben dürfen.«
    Goswin verzog missbilligend das Gesicht.
    Sie kamen an zahlreichen Ständen vorbei, wo es scheinbar alles zu kaufen gab, was man sich nur vorstellen konnte. Obwohl Tyark erst vor Kurzem gegessen hatte, verspürte er bereits ein neues Hungergefühl im Magen – er ahnte langsam, wie viel er seinem Körper abverlangt hatte.
    Das Geschrei der Verkäufer war ohrenbetäubend, die Enge und die Gerüche vor den Ständen atemberaubend. Sie kamen an einem größeren Platz vorbei, auf dem offensichtlich bis vor kurzem ein Viehmarkt stattgefunden hatte, der aber gerade abgebaut wurde. Im hinteren Teil des Platzes sah Tyark einen großen Galgen und blieb stehen. An einer großen Holzbohle waren insgesamt vier Schlingen befestigt, an zwei von ihnen hingen Körper. Ein Mann und eine dürre Frau schaukelten leise in der dunstigen Luft, die Zunge der Frau schien wie ein fetter, grotesker Wurm aus dem Mund zu baumeln. Stadtgardisten schienen sich gerade daran zu machen, die Toten herunterzuholen.
    Beklemmung erfüllte Tyarks Brust, obwohl er bereits oft an Hinrichtungen teilgenommen hatte. Auch Goswin war stehengeblieben und blickte resigniert auf den Galgen. »Seit der Krise mit der Gräfin wurden die Gesetze der Stadt verschärft. Gerade wegen der bettelarmen Flüchtlinge aus dem Süden und Osten. Wurde man früher bei Diebstahl ausgepeitscht, so wird man heute oft genug einfach gehängt! Wahrscheinlich sind auch diese armen beiden Teufel nichts anderes als einfache Diebe, die das Pech hatte, erwischt zu werden.«
    Tyark blickte noch einen Moment auf die ärmlich gekleideten Leichen und sagte dann etwas unschlüssig: »Nun, das ist wirklich etwas hart. Aber in meiner Heimat ist die Hinrichtung von Mördern oder anderen Verbrechern ebenfalls üblich. Und es muss wohl auch so sein. Als Warnung für andere Übeltäter, meine ich. Nur so können viele zukünftige Verbrechen verhindert werden.«
    Goswin verschränkte die Arme vor der Brust, ohne den Blick vom Galgen zu lösen. Er sagte sanft: »Nun, es mag so scheinen. Aber beweist das hier nicht auch, dass diese Form der Abschreckung nicht wirksam ist? Immerhin gibt es immer noch Diebe und Mörder, obwohl sie mit dem Tode rechnen müssen!«
    Tyark verzog ratlos das Gesicht und antwortete: »Hm, vielleicht sind einige Menschen einfach von Grund auf schlecht? In manchen Seelen ist die Essenz des Guten und Bösen einfach nicht zugunsten des Guten gemischt.«
    Goswin wandte sich um und blickte Tyark nachdenklich an: »Vielleicht. Aber in all den Jahren, die ich nun schon in den Städten des Westreiches lebe, konnte ich mich eines Eindruckes nicht erwehren: Auch wenn die Essenzen des Herzens von Anfang an bestimmt sind, wie es die Großen Alten in ihrer Weisheit verfügt

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